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Michael von Obentraut - Biographie
Der 1574 in der Rheinpfalz geborene Michael von Obentraut ist während des Dreißigjährigen Krieges als Generalleutnant der Kavallerie im Heer des Dänenkönigs Christian IV. 1625 in einem Gefecht bei Seelze ums Leben gekommen. Seit 1630 erinnert eine Sandsteinpyramide am Ort des damaligen Geschehens an ihn. (Zum Seelzer Obentrautdenkmal und dem Bildhauer Jeremias Sutel siehe gesonderten Beitrag: Das Obentrautdenkmal, zum Namen ,deutscher Michel', der Obentraut beigelegt worden ist, siehe gesonderten Beitrag: Vom deutschen Michel.)
Der folgende kurze Überblick über Obentrauts Leben orientiert sich an einem ausführlichen Text von Wilfried Sasse, der 1994 in den Seelzer Geschichtsblättern, Heft 9, veröffentlicht wurde. Aufgrund der fast durchweg prekären Quellenlage wird - wo die Angaben plausibel erscheinen - des öfteren aus Darstellungen von Autoren referiert, die unsichere oder keine Belege anführen.
Informationen zum besseren Verständnis des Zeithintergrundes finden Sie in den Anmerkungen zum 30jährigen Krieg und der Zeittafel 30jähriger Krieg.
Kindheit und Jugend in der Pfalz
Als ältester Sohn des Oberschultheiß Johann Bartel von Obentraut und seiner Frau Anna Apollonia Schenkh(in) von Schmittberg wurde Michael von Obentraut am 2. Oktober 1574 in Heddesheim bei Kreuznach geboren. Als jüngere Geschwister sind Conrad Nikolaus und Anna Magdalena bekannt. Später wurde der Vater "Churfürstlich Pfälzischer Amtmann zu Stromberg" (im Hunsrück); auf der dortigen Stromburg wird Michael seine Kindheit und Jugend verbracht haben.
Stromberg im Hunsrück mit der Stromburg: Hier ist Michael von Obentraut aufgewachsen.
Die Obentrauts waren um 1560, etwa gleichzeitig mit dem pfälzischen Kurfürsten, dem besonders sittenstrengen calvinistischen Bekenntnis (nach dem Genfer Reformator Johannes Calvin, 1509-1564) beigetreten. Michael und sein Bruder werden vermutlich das ,reformierte' (calvinistische) Gymnasium in Kreuznach besucht haben.
Frühe Berufung zum Militärdienst
Dem Wunsch seines Vaters folgend nahm der junge Obentraut zunächst in Heidelberg ein Jurastudium auf, scheint sich aber sehr schnell auf eine militätische Laufbahn hin orientiert zu haben. Als er 1592, mit 18 Jahren, einen Besuch bei den Eltern auf der Stromburg machte, soll er schon das Leutnantspatent gehabt haben. Es war die Zeit der österreichischen Türkenkriege (1593-1606), und verschiedene Autoren berichten von militärischen Einsätzen Michael Obentrauts in Ungarn.
1608, mit 34 Jahren ein gestandener Reiteroffizier, soll Obentraut in den Dienst der von seinem pfälzischen Landesherrn und anderen gegründeten protestantischen ,Union' getreten sein und u.a. 1610 mit 500 Reitern im Jülich-Kleveschen Erbfolgestreit (1609-1614) eingesetzt worden sein.
Im Dienste des pfälzischen Kurfürsten
Es erscheint einigermaßen sicher, daß Michael von Obentraut 1619 von seinem Landesherrn Friedrich V. von der Pfalz nach dessen Wahl zum König von Böhmen mit der Aushebung von Truppen in der Pfalz beauftragte wurde. Da er nicht vermögend war, wird Obentraut die Rekrutierung (die seinerzeit normalerwiese auf eigene Kosten erfolgte) nicht leicht gefallen sein. Aber er brachte doch 300 Reiter zusammen. Die Pfalz wurde von einem spanischen Heer bedroht und im Winter 1620/21 führte Obentraut dort einen Kleinkrieg gegen die Spanier.
Obentraut soll seine Gegner ständig durch überraschende Vorstöße und Ausfälle in Atem gehalten haben. Eine nicht belegte Überlieferung besagt, daß Obentraut von spanischen Söldnern repektvoll "Miguel Aleman", also Deutscher Michel genannt worden sei. (Zum Thema ,deutscher Michel' siehe gesonderten Beitrag hier.)
Wechselndes Kriegsglück zu beiden Seiten des Rheins
Der böhmische Krieg war mit der Niederlage Friedrichs V. und der Protestanten am Weißen Berge (bei Prag) im Winter 1620/21 praktisch zuende, und Obentrauts Heimat, die Rheinpfalz (oder Unterpfalz), rückte in den Mittelpunkt der weiteren Ereignisse. General Tilly zog mit dem Heer der katholischen Liga in Richtung Rhein und Neckar, um die pfälzischen Erblande vollständig zu erobern.
Vermutlich im Spätherbst 1621 schloß sich Obentraut dem Heer des Abenteurers und Söldnerführers Graf Ernst von Mansfeld an, den Friedrich V. mit der Verteidigung der Rheinpfalz beauftragt hatte. Im November erzielte man Erfolge gegen die Spanier, doch als Tilly mit seinem Liga-Heer heranrückte, zog sich Mansfeld zurück.
Im Frühjahr 1622 vereinigte er sein Heer bei Germersheim mit den Truppen des Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach. Am 27. April bei Mingolsheim kam es zum Gefecht mit den Ligatruppen. Nach anfänglichen Erfolgen Tillys lockte Obentraut dessen Truppen in eine hinter einem Paß liegende Ebene bei Wiesloch und schlug sie vernichtend. Obentraut wurde bei diesem Gefecht verwundet, aber nach zwei Wochen Krankenlager war er wieder im Einsatz.
Eine anscheinend von Mansfeld betriebene Aufteilung des eben noch siegreichen vereinigten Heeres führte dazu, daß Tilly die geschwächten Truppen von Baden-Durlach am 6. Mai bei Wimpfen erheblich dezimieren konnte. Mansfeld zog indessen mit 12.000 Mann Fußvolk und 3.000 Reitern ins Elsaß, um die von Truppen des (katholischen) Straßburger Fürstbischofs belagerte Stadt Hagenau zu entsetzen, die von Mansfeldischen besetzt und mit Kriegsmaterial und Beute reich gefüllt war.
Fürstbischof Leopold hatte Mansfeld eine starke Abteilung entgegengeschickt, um ihn bis zur Einnahme Hagenaus aufzuhalten. Obentraut, der die Mansfeldische Vorhut anführte, konnte die gegnerische Vorausabteilung jedoch überraschen und schlagen, was der Auftakt zu einem vernichtenden Sieg über die Truppen des Fürstbischofs war.
Im Juni 1622 war Obentraut an der Einnahme Darmstadts beteiligt. Von Norden zog Christian von Halberstadt mit einem Heer heran, wurde aber von Tillys Ligatruppen bei Hoechst erheblich geschwächt. Am 22. Juni vereinigte er seine Truppen mit denen Mansfelds. Doch am 13. Juli entließ der bankrotte pfälzische Kurfürst Ernst von Mansfeld und Christian von Halberstadt aus seinen Diensten, und diese wandten sich daraufhin mit ihren Truppen in Richtung Niederlande. Ob Obentraut bei ihnen blieb, ist umstritten; wo er sich bis Mitte 1625 aufgehalten hat (Niederlande? Norditalien?), ist wohl nicht eindeutig zu klären.
Im Dienste König Christians IV. in Norddeutschland
1623 zog Christian von Halberstadt den Krieg und das Ligaheer unter General Tilly erstmals in den niedersächsischen Reichskreis (vgl. Zeittafel) - doch auch dieser Feldzug blieb für die protestantische Seite erfolglos. Daraufhin begann der Dänenkönig Christian IV., unterstützt von Frankreich und den Vereinigten Niederlanden, 1624 mit der Anwerbung von Truppen, um den Krieg gegen die Habsburger fortzusetzen. Im März 1625 gelang es ihm, von den Ständen des Niedersächsischen Reichskreises zum Kreisobersten gewählt zu werden, und wahrscheinlich im Juli 1625 (nach Adolf Meyer) ist Michael von Obentraut als Oberst eines Reiterregiments in das dänische Heer eingetreten. Johann Ernst von Sachsen-Weimar, von Christian IV. zum Oberbefehlshaber der Kavallerie ernannt, machte Obentraut sodann zu seinem Generalleutnant.
Der Kampf um Nienburg
Der niedersächsische Feldzug des Dänenkönigs begann im Juni, kam jedoch schon nach wenigen Wochen ins Stocken, ohne daß es zu einer Konfrontation mit Tilly gekommen war; Christian IV. hatte sich bei einem unglücklichen Sturz schwere Verletzungen zugezogen. So konnte Tilly wiederum die Initiative ergreifen. Er zog die Weser hinunter und versuchte, die dänisch besetzte Festung Nienburg zu erobern, deren Versorgung und Unterstützung Obentraut übertragen war. Gleich zu Beginn der Belagerung ließ er am 2./3. September bei Leeseringen eine Schiffsbrücke über die Weser errichten, um Nienbung einzukreisen und von der Versorgung abzuschneiden. Und es gelang ihm auch, einen Brückenkopf am linken Weserufer zu besetzen.
Obentraut griff überraschend an, vernichtete die Verschanzungen des Brückenkopfes, steckte das provisorische hölzerne Brückenwerk in Brand und konnte die gegnerische Truppe schlagen. (Noch Jahrhunderte später gilt Obentraut daher als "Befreier Nienburgs" - so titelte die Nienburger Tageszeitung ,Die Harke' 1954.)
Da er nicht über genügend Schiffe für einen erneuten Brückenschlag verfügte, war es Tilly nicht möglich, die Versorgung Nienburgs zu unterbinden; er belagerte und beschoß die Stadt jedoch unter Aufbietung aller Kräfte. Mehrmals versuchte sein Heer, die Stadt im Sturm zu nehmen oder in Brand zu setzen, und mindestens dreimal gelang es dänischen Truppen (vermutlich unter Leitung Obentrauts), bei Entsatzversuchen Wagen mit Proviant, Geschützen, Pulver und Blei durch die Reihen der Belagerer in die Stadt zu bringen.
Entsatzversuche und Ausfälle der Besatzung, die immer schwieriger werdende Versorgung des eigenen Heeres und grassierende Krankheiten schwächten Tillys Heer zusehends, und "nachdem er so einen Monat vergeblich alles aufgeboten hatte, die Stadt in seine Gewalt zu bekommen, sah er sich genötigt, am 24. September in aller Stille ,ohne Rührung des Spiels noch Trompeten' wieder abzuziehen" (Gade S. 88).
Tilly soll vor Nienburg bis zu 4.000 Mann verloren haben, und nach dem Ende der Belagerung soll Obentraut auf einen vernichtenden Schlag gegen den geschwächten Gegner gedrungen haben, bei der Heeresführung aber auf Ablehnung gestoßen sein. Er mußte er sich damit begnügen, das abziehende kaiserlich-ligistische Heer mit seinen Reitern zu "belästigen" und ihnen Beute abzujagen. - Am 26. September konnte der genesene König Christian IV. in Nienburg einziehen.
Zwischen Hannover und der Feste Calenberg
Im Oktober 1625 hielten sich Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar und Obentraut einige Male in der befestigten Stadt Hannover auf, um mit dem Magistrat über eine Einquarterung dänischer Soldaten zu verhandeln. Der Magistrat zögerte, und die Gespräche zogen sich in die Länge. General Tilly, der in der Zwischenzeit sein Heer im Tal zwischen Deister und Süntel neu hatte aufstellen und verstärken können, zog auf dem Weg nach Hannover zunächst vor die Festung Calenberg (bei Pattensen) und belagerte sie. Obentraut lag mit nicht genau zu beziffernden Reiterverbänden im Raum Seelze, in und um Wunstorf waren einige dänische Fußregimenter stationiert.
Dänische Truppen bei Seelze
Die dänischen Truppen haben sich wohl auf einen Angriff vorbereitet, indem sie Verschanzungen im Verlauf der Osnabrücker Heerstraße bei Letter (im Verlauf einer inzwischen abgetragenen Sandhügelgruppe) und vor Seelze am Bachlauf der Bredenbeeke anlegten. Am 27. Oktober wurden die dänischen Stellungen durch Friedrich von Sachsen-Altenburg mit 700 Reitern verstärkt, die bei Seelze ihr Lager aufschlugen und zur Sicherung des Rückzugs offenbar nahe dem Dorf einen Steg über die Leine bauten.
Letter und Seelze nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781. Südlich von Letter sind im Verlauf der Landstraße von Ahlem nach Seelze vier Sandhügel erkennbar; die Bredenbeeke kreuzt die Landstraße östlich von Seelze und mündet in die Leine.
Tillys Vorhut und Spähtrupps begnügten sich damit, den Gegner zu beobachten, und versetzten die Dänen in eine zunehmend nervöse Alarmstimmung. Um dem ein Ende zu bereiten, wollte Friedrich von Altenburg in der Nacht vom 3. auf den 4. November (nach dem damaligen evangelischen Kalender 24./25. Oktober) Tillys Vorposten angreifen. Für den geplanten Überfall sollten zur Verstärkung aus dem Raum Wunstorf dänische Fußregimenter herangeführt werden, die ihr Ziel in der Dunkelheit jedoch nicht erreichten; möglicherweise wurden sie irregeführt. Friedrich von Altenburg hielt die Reiterei die halbe Nacht in Kampfbereitschaft, mußte aber in den frühen Morgenstunden, da die Verstärkung nicht in Sicht war, den Angriffsplan fallen lassen.
Überraschungsangriff nach dem Fall der Burg Calenberg
Am 3. November zwischen 10 und 11 Uhr hatte Tilly die Festung Calenberg in seine Gewalt bekommen. Umgehend machte er sein Heer marschbereit und wandte sich nach Norden, um die Dänen bei Seelze zu überraschen.
Die Liga-Truppen benutzten nicht die Osnabrücker Heerstraße, welche sie auf die dänischen Verschanzungen geführt hätte, sondern zogen hinter dem Lindener Berge über Davenstedt auf die Hügelkette von Heisterberg und Linnenberg. Die dänischen Vorposten konnten offenbar weitgehend umgangen werden; Heinrich Busse berichtet (aus unbekannter Quelle), daß sich der Sicherungsposten Limmer mit Tillys Nachhut ein kleines Scharmützel geliefert habe, als die Hauptmacht des Heeres schon vorbei gezogen sei. In der Morgendämmerung des 4. November wurde ein bei der Harenberger Mühle liegender Vorposten der Dänen von Tillys Truppen überrumpelt. Bei Döteberg stellte Tilly seine Truppen auf, und der Angriff auf die gegnerische Stellung bei Seelze begann.
Das Gebiet, in dem General Tilly seinen Angriff auf die Seelzer Stellungen des dänischen Heeres vortrug, nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781.
Bei Seelze kommt es zum Gefecht
Der von spätem Alarm aus dem Schlaf gerissene Altenburg versuchte in aller Eile, einen Gegenangriff zu organisieren, der jedoch schon im Ansatz erstickt und zurückgeworfen wurde. Obentraut, der sein Quartier bei Almhorst gehabt haben soll, wurde durch Meldereiter alarmiert und eilte Altenburg zu Hilfe. Die Lage wurde durch seinen Einsatz zwar vorübergehend stabilisiert, er konnte jedoch den zweiten Angriff Tillys nicht aufhalten oder gar zurückwerfen.
Obentraut und Friedrich von Altenburg tödlich verwundet
In dem unübersichtlichen Kampfgetümmel wurde Obentraut von mehreren Pistolenschüssen verwundet, geriet so in Gefangenschaft und ist kurze Zeit später gestorben. Die Mannen des Herzogs von Altenburg flüchteten in Richtung des Seelzer Leineübergangs, der aber für viele zu einem unüberwindlichen Engpaß wurde. Nur wenigen gelang es, die Leine zu überqueren und so den nachsetzenden Tillyschen Truppen zu entkommen. Der am Arm verwundete Friedrich von Altenburg wurde auf dieser Flucht von einem bayerischen Fähnrich eingeholt und durch einen Schuß in den Kopf getötet. Altenburg war 27 Jahre alt. Sein Tod und der einiger weiterer Offiziere verstärkten die Konfusion der dänischen Truppen, und nach kurzer Zeit war der Kampf mit einem überwältigenden Sieg der ligistischen Truppen entschieden.
Obwohl die dänischen Truppen empfindliche Verluste erlitten, hatte die Niederlage bei Seelze am Ende keine strategischen Auswirkungen. Tilly schrieb einige Tage nach dem Gefecht in einem Brief an den bayrischen Herzog Maximilian, der Tod Obentrauts bei Seelze sei der eigentliche Erfolg dieses Gefechts gewesen. Hannover, das Tilly gern besetzt hätte, wurde anschließend nur wenige Tage erfolglos belagert, dann zog das Heer wieder in Richtung Weser.
Beisetzung in Hannover im Februar 1626
Die Dänen verhandelten vier Monate, bis die Leichen Obentrauts und Altenburgs, die von Tillys Truppe vermutlich auf die Festung Calenberg gebracht worden waren, im Austausch gegen einen gefangenen Liga-Offizier herausgegeben wurden. Am 17. Februar 1626 wurden sie an der Ihmebrücke vor Hannover übergeben. Sie wurden in der Ägidienkapelle aufgebahrt und dann beigesetzt.
Ein Jahr später wurde der Leichnam Herzog Friedrichs von Sachsen-Altenburg nach Altenburg überführt, während die sterblichen Überreste Michael von Obentrauts in die heutige Marktkirche umgebettet wurden. Dort soll Obentraut ein Grabstein gesetzt worden sein, der aber nicht erhalten ist.
Würdigung durch Zeitgenossen und Historiker
Generalleutnant Michael von Obentraut nach einem Stich von L. Kilian (ca. Mitte 17. Jahrhundert).
Der Historiker Ernst Boehlich schrieb 1926 über Obentraut: "Was er geleistet, ist um so höher anzuschlagen, als ihm nicht wie etwa Wallenstein ein unermeßliches Vermögen, nicht wie Tilly die förderliche Gunst eines klugen und zielbewußten Fürsten zur Seite stand, als ihn nicht Geburt und Rang wie die großen Kondottieri Mansfeld und Christian von Braunschweig [auch: "Chr. v. Halberstadt"] aus der Masse heraushoben. Von der Pique an gedient, hat er seinen Aufstieg und seine Stellung allein sich selbst zu verdanken. In den schwierigsten Zeiten des Pfälzischen Krieges ohne Mittel gelassen, gehemmt von der Zagheit und Entschlußlosigkeit seines Vorgesetzten, vom eigenen Fürsten [Friedrich V. von der Pfalz] fast preisgegeben, in einen Umkreis der Uneinigkeit gestellt, da, wie ein zeitgenössischer Chronist sagt, (.) mußte er alles, was er damals errang, ohne, ja gegen seine Partei erringen. Auch in der kurzen Zeit, in der er noch im Dänischen Kriege stand, wurde sein Handeln keineswegs von der strategischen Zuverlässigkeit einer zielbewußten und tatkräftigen Heeresleitung getragen; vielmehr war auch damals er treibende und gewöhnlich isolierte Kraft. Unter solchen Umständen sind seine Taten als sein Verdienst, als Ausfluß allein seines Willens und seiner Fähigkeit zu werten." (E. Boehlich, Johann Michael Elias Obentraut. Zur Geschichte und Legende des "Deutschen Michel"; in: Bausteine. Festschrift für Max Koch ..., Breslau 1926)
Im 17. Jahrhundert eine bekannte Persönlichkeit
Boehlich bezeugt, daß Obentraut - der heute unseres Wissens in keinem Geschichtsbuch erwähnt wird - sich bei den Geschichtsschreibern des 17. Jahrhunderts einer enormen Bekanntheit erfreute. Viele seiner Zeitgenossen bewunderten ihn offenbar wegen seines Wagemutes, aber auch späterhin wurde er verehrt, und man gedachte seiner in Liedern und Sagen. Und so nimmt es nicht wunder, daß seine (angeblichen) letzten Worte immer wieder aufgebauscht und idealisiert wurden. Nach Walter Lampe (1941) soll der Sterbende gegenüber Graf Tilly den poetischen Satz geäußert haben "Auf solcher Wiese pflückt man solche Lilien."
Im ,Alten Krug' in Seelze gestorben?
Eine für Seelze bedeutsame (und möglicherweise von interessierter Seite erfundene) Legende rankt sich um den Alten Krug in Seelze. Dort habe Obentraut nicht nur zeitweilig sein Hauptquartier gehabt, sondern dort sei er auch nach seiner Verwundung hingebracht worden und gestorben. Seit den 1930er Jahren bis zur Schließung der alten Gaststätte Anfang der 1990er Jahre gab es deshalb dort ein Obentraut-Zimmer (auch Michel-Stube genannt).
Im Obentrautzimmer des Alten Kruges 1977: Hörfunkaufnahme des Norddeutschen Rundfunks, rechts Gemeindedirektor i.R. Friedrich Maasberg (Foto Stadtarchiv Seelze)
"Mit einem Stiefel und einem Sporn ."
In Seelze hielt sich auch bis heute die Sage, daß Obentraut, von dem Überraschungsangriff Tillys aus dem Schlaf gerissen, sich mit nur einem Stiefel aufs Pferd und in den Kampf geworfen habe. Eine glaubwürdigere Version (vgl. Havemann und Freudenthal) schreibt dieses der Hast geschuldete Mißgeschick (nämlich einen vergessenen Sporn und ein übermüdetes Pferd) Friedrich von Altenburg zu, welcher dadurch so behindert worden sei, daß er den Gegnern aus eben diesem Grunde zum Opfer gefallen sei. Doch die Seelzer Kinder sangen bis in die jüngere Vergangenheit die folgenden Verse: "Obentraut, du starker Held, liegst begraben im Seelzer Feld. Mit einem Stiefel und einem Sporn hat Obentraut sein Leben verlorn."
Heute erinnert in Seelze neben dem Obentrautdenkmal eine Obentrautstraße an den Reitergeneral, und die 1963 geweihte Döteberger Kapelle trägt ebenfalls seinen Namen. Darüber hinaus wird in der Seelzer Martinskirche eine Darstellung des Familienwappens von Obentraut (farbig bemalte Holzschnitzerei) aufbewahrt.
Obentraut als ,deutscher Michel'
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erlebten die Erinnerung an die Person Michael von Obentraut und die damit verbundene Legendenbildung und -pflege einen deutlichen Aufschwung. In diesem Zusammenhang wurde auch ein ehrender Beiname Obentrauts erneut ins Gespräch gebracht, der ihm höchstwahrscheinlich erst nach seinem Tod verliehen wurde: der deutsche Michel (vgl. dazu den Beitrag zum "deutschen Michel"). Die solchermaßen wiederbelebte Popularität des Reitergenerals regte wohl auch Börries Freiherr von Münchhausen 1) zu dem Gedicht "Des Deutschen Michels Tod" an, das er vermutlich zwischen 1911 und 1915 verfaßte und das wiederum den volkstümlichen Bekanntheitsgrad seines Helden stärkte.
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde Michael von Obentraut gern zum Heldenahnen, Vorkämpfer eines einigen Reiches und Vorbild des deutschen Soldaten erkoren, doch nach 1945 ging der Bedarf an Leitbildern vom Schlage eines Obentraut schnell zurück, und wenn in Seelze nicht gerade sein Denkmal stünde, wäre er wohl auch hier längst vergessen.
1) Börries von Münchhausen (1874-1945), geboren in Hildesheim, hat zeitweilig in Hannover gelebt und kannte wohl auch das Seelzer Obentrautdenkmal. Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte er als Lyriker einen gewissen Bekanntheitsgrad und seine Gedichte und Balladen fanden sich in vielen Schullesebüchern.
Literatur:
Anhäuser, Uwe, Tapfer, treu und unverzagt. Ein Held vom Hunsrück: der Deutsche Michel, in: Zs. Das Parlament, 25. 1. 1991
Busse, Heinrich, Wie hat sich das Treffen bei Seelze abgespielt?, in: Kommunale Mitteilungen Nr. 85, 1925, S.1009
Freudenthal, Friedrich, General-Lieutenant Michael von Qbentraut's Tod im Treffen bei Seelze am 4. November 1625, in: Zs. Hannoverland, 28. 10. und 4. 11. 1894
Fuhrmann, Alfred, Generalleutnant Michael von Obentraut und der deutsche Michel, in: Hannoverscher Volkskalender 1935, S. 40 ff
Gade, Heinrich, Geschichte der Stadt Nienburg, o.O. 1862
Gerlach, August, Vom "Deutschen Michel", in: Ztg. Deutsche Warte vom 28. 11. 1898
Ders., Der "Deutsche Michel", in: Frankfurter Zeitgemäße Broschüren, 15. 5. 1906
Grote, Bernd, Der deutsche Michel. Ein Beitrag zur publizistischen Bedeutung der Nationalfiguren, Bd. 11 der Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Dortmund 1967
Havemann, Wilhelm, Der Tod Friedrichs von Altenburg bei Seelze (aus einem gleichzeitigen Bericht), in: Vaterländisches Archiv Jahrgang 1841
Lampe, Walter, Michael Obentraut und sein Denkmal bei Seelze, in: Alt-Hannoverscher Volkskalender 1941 (auch als Sonderdruck veröffentlicht)
Langer, Herbert, Hortus Bellicus. Der Dreißigjährige Krieg, Leipzig 1978
Merckens, W., Der Befreier Nienburgs, Hans Michel von Obentraut, in: Tageszeitung Die Harke (Nienburg) Jg. 1954 (genaues Datum unbekannt)
Meyer, Adolf, "Der Deutsche Michel", historische Gestalt oder Legende?,
in: Zs. Geschichte, Solothurn (Schweiz) Nr. 9/1976
Monts, Hans-Paul von, Wer war der deutsche Michel? (vervielf. Typoskript 1939, StA Seelze)
Palm, Valentin, Das Leben des Michael von Obentraut, in: Allgemeine Zeitung Bad Kreuznach, Mai 1963 (5 Teile)
Peßler, Wilhelm, Das Museum im Turm der Marktkirche, in: Hannoverscher Anzeiger, 10./11. 7. 1937
Scheibe, Karl, Die Marktkirche zu Hannover, Hannover 1909
Thurm, H. G., Der deutsche Michel, in: Ingelheimer Wochenblatt, September 1993
Ders., Die Geschichte derer von Obentraut, in: Ingelheimer Wochenblatt, 25. 9. 1993
Wittmeyer, Heinrich, Kleine Chronik Seelze, 1950, unveröff. (Stadtarchiv Seelze)
Ders., Der 30jährige Krieg, undatiert (1940er Jahre), unveröff. (Stadtarchiv Seelze)