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Ortsgeschichte Velber
Der Ortsname
Die Ortsnamenforscher Ohainski und Udolph, welche für Stadt und Landkreis Hannover 1998 alle Ortsnamen untersucht haben, formulieren in ihrer Erörterung von "Velber" als Kernfrage: "Stand im Beiwort Feld- oder Fel-/Vel- und ist im Grundwort von -berg oder -ber auszugehen?" Aufgrund verschiedener Indizien entscheiden sie sich für den Ansatz Vel-ber. Das Grundwort ginge demnach auf einen altsächsischen Ausdruck mit der Bedeutung Wald oder Hain zurück (entsprechend dem altenglischen bearo), das in ostfälischen Ortsnamen noch öfter auftaucht. Das Beiwort vel- führen die Autoren zurück auf das althochdeutsche felwa = Weiden- oder Sumpfbaum (Weiden sind charakteristisch für grundfeuchte Standorte), im Süddeutschen als ,Felber' bis heute gebräuchlich. Im Zusammenzug ergäbe sich also etwa die Bedeutung Sumpfwald oder "bei einem sumpfigen Wald" - was angesichts des nahen Velberholzes mit dem Quellgebiet der Fösse nicht unpassend erscheint.
Die ältesten Erwähnungen
Als 1952 in Velber eine wegen der schweren Nachkriegsjahre um fünf Jahre verspätete 1000-Jahr-Feier stattfand, bezog man sich auf eine Urkunde des Jahres 947, in der ein Velberch genannt wird. Heute wissen wir, daß die dort bezeichnete Siedlung einst in der Nähe von Alfeld lag und heute nicht mehr existiert.
Unser Velber taucht in der schriftlichen Überlieferung erst im 12./13. Jahrhundert auf. Zunächst wird der Ortsname nur indirekt erwähnt, weil ein Adliger Helmold von Velber in einer Mindener Bischofsurkunde (unser Gebiet gehörte bis zur Reformation zum Bistum Minden) als Zeuge eines Rechtsgeschäfts genannt wird (Datierung um 1167). Als ein jüngerer Helmold von Velber 1257 das velbersche Familiengut dem nahen Kloster Marienwerder überträgt, wird erstmals der Ort Velber direkt genannt.
Rekonstruktion des velberschen Dorfkerns am Ende des Mittelalters nach der Verkoppelungskarte von 1854 - hier mit den Höfen, die das Blumenauer Lagerbuch 1600 verzeichnet. Der schon im 13. Jahrhundert aufgelöste Sitz der Edelherren von Velber ist bei der Kapelle zu vermuten (Nr. 3 und Nr. 8 - ?). Das um 1600 von Hollesche Gut wird zu jener Zeit vermutlich noch vollständig von einem Wassergraben umgeben gewesen sein, und der hier schon eingezeichnete Weg vom Gut nach Lenthe wurde erst viel später angelegt. Die Hofnummern richten sich nach der Brandkassennumerierung ab 1750.
Velber nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781. Die ,11' beim Ortsnamen bezeichnet die damalige Anzahl der Hofstellen. Im Osten gibt es noch das Davenstedter Holz, das Velberholz ist insgesamt als sumpfiges Gelände gezeichnet. Die von Lenthes haben nach dem Erwerb des Gutes (1733) den schnurgeraden Damm durch das sumpfige Gelände zu ihrem Obergut anlegen lassen, er beginnt nach der Zeichnung aber erst am Waldrand.
Die Edelherren von Velber
Das Wenige, was wir heute über die Edelherren von Velber wissen, verdanken wir der Forschungsarbeit von Heinz Georg Röhrbein (Über die Edelherren von Velber, Hannoversche Geschichtsblätter 1986). Einige Indizien lassen vermuten, daß die mit Helmold von Velber um 1167 erstmals genannte Familie mit dem Grafengeschlecht von Roden verwandt war, welches nach dem Sturz Heinrichs des Löwen 1180 im Westen Hannovers für einige Zeit eine regionale Herrschaft aufbauen konnte und 1196 das Kloster Marienwerder stiftete.
Konrad von Velber ist 1213 Domherr in Hildesheim, 1221 Vorsteher der dortigen Domschule. Er wird 1227 zum Bischof von Osnabrück gewählt und stirbt dort 1238. Konrads Schwester B. (wir kennen nur das Initial) ist Kanonissin im Stift Gandersheim. Bruder Heinrich heiratet eine Edle von Diepholz, stirbt aber anscheinend früh nach kinderloser Ehe. Der letzte Bruder Helmold, der wie Konrad als Geistlicher in Osnabrück lebt, vermacht eine Curie in Velber (mutmaßlich der einstige Stammsitz der Familie) 1257 dem Kloster Marienwerder, und damit endet die Überlieferung.
Der Kirchweg führte nach Limmer
Als irgendwann nach der ersten Jahrtausendwende in unserem Raum Pfarrgemeinden entstanden, wurde Velber dem Kirchspiel Limmer (heute Stadtteil von Hannover) zugeschlagen. Eine Kapelle mag es auch zu jener Zeit schon gegeben haben, ob sie aber im Kern identisch ist mit der heutigen, läßt sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht sagen. Die Kapelle kann seinerzeit auch zum Sitz der Edelherren von Velber gehört haben.
Normale Kapellengemeinden hatten keinen eigenen Geistlichen, und auch nach Velber wird der Priester aus Limmer nur zweimal im Jahr gekommen sein (für die nachreformatorische Zeit bezeugt im Blumenauer Lagerbuch 1600), um hier eine Messe zu halten. Den Rest des Jahres mußten die Velberschen sonn- und feiertags nach Limmer gehen, was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Und auch ihre Toten mußten sie zum dortigen Kirchhof an der Nikolaikirche tragen.
Die Gottesdienste in der Kapelle wurden im 20. Jahrhundert häufiger: in den 30er Jahren monatlich, nach dem 2. Weltkrieg vierzehntäglich. Erst 1970 wurde Velber aus der St.-Nikolai-Gemeinde ausgepfarrt und Teil der neuen Pfarrgemeinde Davenstedt. Einen eigenen Friedhof hat die politische Gemeinde 1927 angelegt und dort bereits 1929 eine Leichenhalle gebaut.
Die Kapelle und der Flügelaltar
Der kleine gotische Backsteinbau soll seinen Ursprung im 13. Jahrhundert haben, 1841 wurde er gründlich umgestaltet. Im Innern finden wir einen 1610 vom damaligen Gutsinhaber Martin von Holle gestifteten Flügelaltar mit einer Kreuzigungsszene und den vier Evangelisten. Die geschlossenen Flügel zeigen die Verkündigung. (Ausführlich mit Abbildungen siehe Beitrag von Christa Schermuly in: Velber in alter und neuer Zeit, 2001)
Velbers kleine, im Kern mittelalterliche Kapelle in den 70er Jahren
Gutsherr Martin von Holle
Das velbersche Gut lag am südwestlichen Dorfrand, wo heute die Allee nach Lenthe beginnt. Der Straßenname Am Wehrgraben weist noch auf die einstige Sicherung mit einem umlaufenden Wassergraben hin. Bezeugt ist das Gut seit dem 16. Jahrhundert, und Martin von Holle war der einzige Gutsherr, der hier sein ganzes Leben lang (1560-1611) wohnte. Neben dem Flügelaltar in der Kapelle stiftete er auch 400 Gulden zur Errichtung der ersten Kirchspielschule in Limmer 1602. (Weitere Informationen zu Martin von Holle)
Der velbersche Gutshof Ende der 1950er Jahre. Das Fachwerkgutshaus am linken Bildrand stammte im Kern noch aus der Zeit Martin von Holles. (Foto v. Lenthe)
Die von Lenthes als Gutsherren
1733 kaufen die benachbarten von Lenthes das kleine velbersche Gut. Bald danach haben sie offenbar den Damm für die heutige Allee nach Lenthe durch das sumpfige Velberholz aufschütten lassen, der in der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781 eingezeichnet ist. Doch wie schon die wechselnden Eigentümer zuvor haben auch sie die Gutswirtschaft die meiste Zeit verpachtet. Erst nach dem 2. Weltkrieg machte sich hier eine junge Familie von Lenthe aus Schwarmstedt ansässig. Aber schon in den 1960er Jahren endete diese Episode, und 1969 wurden die Gutsgebäude abgerissen.
Die Dorfschule
Sechzig Jahre lang (1602-1662) mußten die Kinder aus Velber zur Kirchspielschule in Limmer gehen, dann entschloß sich die kleine Gemeinde, eine eigene Schule einzurichten und einen Schulmeister anzustellen. Wie damals üblich war das Schulhaus vor allem Wohn- und Wirtschaftsgebäude für den Lehrer und seine Familie, die sich mehr schlecht als recht mit einer kleinen Landwirtschaft und spärlichem Schulgeld über Wasser hielt.
1796/97 wurde ein neues, größeres Schulhaus errichtet, das aber wiederum nur eine bescheidene Schulstube hatte, die schon wenige Jahre später als zu klein reklamiert wurde. Doch erst 1865 konnte ein Anbau finanziert werden. Noch einmal ist 1892 ein separates Schulzimmer nach Osten angebaut worden, welches bis heute erhalten ist, während das Haus von 1797 wegen Baufälligkeit 1983 dem neuen evangelischen Gemeindehaus weichen mußte.
Wie so viele kleine Dorfschulen fiel auch die velbersche der niedersächsischen Schulreform der 1960er Jahre zum Opfer und wurde nach 301 Jahren 1963 geschlossen.
Das Schulhaus von 1797 stand bis in die 1980er Jahre dort, wo sich heute das evangelische Gemeindezentrum befindet (Kapellenbrink, Ecke Hasselfeldstraße).
Die Einwohner seit dem 16. Jahrhundert
Aus der Calenberger Musterungsrolle von 1585 (die wehrpflichtigen Männer mußten mit Vorderladern oder Spießen in Neustadt antreten) und dem Lagerbuch des Amtes Blumenau (1600) erfahren wir, daß Velber seinerzeit aus vier Meierhöfen, fünf Kötnerstellen und dem Holleschen Gutshof bestand. Damit war das Dorf auch für damalige Verhältnisse sehr klein. (Zum Vergleich: Seelze und Harenberg hatten je dreimal soviele Höfe.) Nur die Meierhöfe und das Gut hatten genügend Land, um allein von dessen Bewirtschaftung zu existieren. Die kleine Kötnerstelle Nr. 8 neben der Kapelle hatte schon 1562 eine Kruglizenz, dorthin gingen die Bauern also zum Schnapstrinken.
Die erste Einwohnerzahl erfahren wir aus einer Kopfsteuerliste von 1689. Damals wurden hier 84 Personen registriert. Bis 1821 war die Zahl um über 50 Prozent auf 136 gestiegen, und nochmals ein halbes Jahrhundert später (1873) zählte die Klassensteuerliste 219 Personen. Neben dem noch zahlreichen landwirtschaftlichen Gesinde und vielen Tagelöhnern, die wohl vor allem auf den größeren Höfen arbeiteten, sind dort ein Maurer, ein Schneider und zehn Schuhmacher (einschließlich Gesellen) verzeichnet, ferner Gastwirt (zugleich Imker), Lehrer, eine Näherin, eine Arbeiterin und ein Aufseher in der nahen Ahlemer Asphaltgrube. Die Industrialisierung in Linden und Hannover hatte also auch in Velber Spuren hinterlassen.
Der Halbmeierhof Nr. 4 (nach dem Erbauer des Hauses von 1796 Kollrottscher Hof genannt) steht heute in Velbers "Traditionsinsel" um die Kapelle für die jahrhundertelang das Dorf prägende bäuerliche Landwirtschaft. Er wurde bis 1981 bewirtschaftet und steht heute unter Denkmalschutz. Die Aufnahme aus den 1930er Jahren zeigt die damalige Besitzerfamilie Billerbeck. (Foto Koch)
Die Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg
1939 lebten 350 Menschen in Velber, ab 1945/46 ließ jedoch der Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen die Einwohnerzahl bis auf weit über 900 (1950) ansteigen. In den 1950er Jahren sank die Zahl allmählich wieder und in den frühen 1960ern pendelte sie sich um ca. 630 ein. Dann begann ein gesteuertes Wachstum durch die Ausweisung von Bauland, und 1970 wurde schon die Tausendermarke überschritten. 1976 lebten hier 1.500 Menschen, und der Ort wuchs langsam weiter, bis Ende der 1990er Jahre auf rund 2.000 Einwohner. Nach einem zwischenzeitlichen Anstieg auf knapp 2.200 leben heute (2019) rund 2000 Menschen in dem einst so kleinen Dorf. Diese Zahlen machen schon deutlich, daß die jahrhundertelang so wichtige Landwirtschaft heute in dieser beliebten großstadtnahen Wohnsiedlung im Grünen keine wichtige Rolle mehr spielt.
1974 verlor Velber im Zuge der niedersächsischen Verwaltungs- und Gebietsreform seine Selbständigkeit und wurde eine von elf Ortschaften der Großgemeinde (ab 1977 Stadt) Seelze.
Der Maler Adolf Wissel (1894-1973)
Selbstporträt Adolf Wissel 1930
Adolf Wissel, ein Bauernsohn aus dem Vollmeierhof Nr. 2, ist sicherlich der prominenteste Sproß Velbers. Er studierte Anfang der 1920er Jahre in Kassel und kehrte 1924 nach Velber zurück, wo er auch die Motive fand, die ihn in der Folgezeit bekannt machten: Bauernfamilien und bäuerlich-ländliche Sujets, die er in einem der neuen Sachlichkeit verwandten Stil gestaltete. Daneben malte er Auftragsportraits, z.B. 1941 von dem hannoverschen Oberbürgermeister Arthur Menge. 1939 baute er sich ein Atelierhaus gegenüber dem elterlichen Hof (Schmiedestraße).
In der Nazizeit sahen die neuen Machthaber in ihm den "Blut- und Boden-Maler", der noch dazu als Bauernsohn der "heimatlichen Scholle" eng verbunden war. Wissel-Bilder wurden mehrfach in der Großen Deutschen Kunstausstellung in München ausgestellt und von Nazigrößen gekauft; schließlich erhielt Wissel auch noch eine Ehrenprofessur. Es gibt Grund zu der Vermutung, daß der großen Anerkennung von Wissels Werk durch die Nazis ein Mißverständnis zugrundelag, welches der Künstler freilich nicht aufklärte.
1974, kurz nach Wissels Tod, veranstaltete das Historische Museum Hannover eine große Ausstellung seiner Werke. (Literatur: Ingeborg Bloth, Adolf Wissel - Malerei und Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Berlin 1994)
Der ,Englische Friedhof' und das KZ-Mahnmal
Nirgends im Seelzer Stadtgebiet werden wir so nachhaltig an die Zeit des 2. Weltkriegs erinnert wie ein Stück nördlich Velbers an der Straße von Ahlem nach Harenberg. Auf ehemals velberschem Gebiet haben dort ab 1947 über 3000 Militärangehörige des britischen Commonwealth, überwiegend Gefallene des 2. Weltkriegs, die letzte Ruhe gefunden.
Blick über die volkstümlich ,Englischer Friedhof' genannte Kriegsgräberstätte der Commonwealth War Graves Commission
Direkt nordöstlich angrenzend befindet sich seit 1994 ein Mahnmal für etwa 750 Menschen, vor allem polnische und ungarische Juden, die hier, im Außenlager Ahlem des KZ Neuengamme, 1944/45 in nur fünf Monaten ums Leben kamen. Sie sollten unter unmenschlichen Bedingungen in stillgelegten Asphaltstollen unterirdische Werkstätten für die Continental Gummiwerke anlegen. Das Lager befand sich auf der Grenze zwischen den Gemarkungen Ahlem und Velber.
Einige alte Velberaner erinnerten sich noch in den 1990er Jahren, daß manchmal eine Gruppe ausgemergelter Menschen in Sträflingskleidung unter schwerer Bewachung vom Heisterberg herunterkam, um an der Dorfpumpe vor dem Kollrottschen Hof Wasser zu holen. Sie waren so schwach, daß sie den Leiterwagen mit den gefüllten Tanks nur unter größten Mühen bergauf zum Lager zurückschieben konnten.
1987 bildete sich ein Arbeitskreis "Bürger gestalten ein Mahnmal", an dem sich auch Velberaner beteiligten. In jahrelanger Auseinandersetzung entwickelten die Mitglieder des Arbeitskreises die heutige Gestalt des Mahnmals und bearbeiteten Asphaltplatten, die wie Spiegelungen des Leids anmuten, das hier hunderten Menschen zugefügt wurde. (Literatur: Ursula Kiessling, Gegen das Vergessen, in: Velber in alter und neuer Zeit, 2001)
Mahnmal für die Toten des KZ Ahlem. Der von stählernen Stelen gesäumte Weg führt in einen nachempfundenen, gewissermaßen ausweglosen Stolleneingang.
Mahnmal für die Toten des KZ Ahlem. Eine der von BürgerInnen gestalteten Asphaltplatten an den Betonwänden des nachempfundenen Stolleneingangs.
Norbert Saul, Stadtarchiv
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