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Ortsgeschichte Lathwehren
Rätsel um den Ortsnamen
Nach heutigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, daß die benachbarten Siedlungen Lathwehren und Kirchwehren bis ins hohe Mittelalter namentlich nicht unterschieden wurden. Anscheinend wurden beide anfangs Wegerden oder Wegerte genannt, nach heutiger Schreib- und Sprechweise also Wehren. Die früheste urkundliche Erwähnung eines Ortes dieses Namens geht auf das Jahr 1096 zurück, doch wird inzwischen angezweifelt, daß es sich dabei um "unser" Kirchwehren handelt (s. Kirchwehren). Erst in Urkunden des 14. Jahrhunderts finden wir zwei deutlich unterschiedene Ortsnamen: 1315 erstmals Lathwehren (Latwegerde), 1353 Lathwehren und Kirchwehren in derselben Urkunde genannt. Aber noch im Lagerbuch des Amtes Blumenau des Jahres 1600 lesen wir zur kirchlichen Organisation, daß die Lathwehrener "der Kirche zu Wehren eingepfarret" seien.
Die Deutung des Ortsnamens erscheint schwierig. Das Ortsnamenbuch für die Region Hannover (Ohainski, Udolph 1998) hält beim Grundwort -wehren die Bedeutung ,abschüssige Ebene' für die wahrscheinlichste, ohne dafür letzte Sicherheit zu beanspruchen. Das Beiwort Lath- führen die Wissenschaftler auf die germanische Wurzel lat in der Bedeutung von ,Sumpf, Morast, feucht' zurück.
Siedlungsentwicklung nach Norden
Die Standortfaktoren für eine frühe Besiedlung waren günstig: Im Süden frisches Fließwasser (Mösecke und Landwehr), in der Niederung gutes Weideland, unmittelbar nördlich angrenzend höher gelegene trockene Flächen für die Hofstellen und den Ackerbau auf Rodeland, welches dem Wald abgerungen wurde. Aufgrund dieser natürlichen Gegebenheiten haben sich Siedlung und Feldflur im Laufe der Jahrhunderte von Süd nach Nord entwickelt. Die ältesten Hofstellen lagen nah am Bach, im heutigen Bereich Auf dem Rade, Zum Röselhof, Poggenhuhnweg, Stemmer Straße. Hier blieb der Siedlungsschwerpunkt bis zu den Agrarreformen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Danach verschob sich das Siedlungszentrum nach Norden zur heutigen Georgstraße.
Das Lagerbuch des Amtes Blumenau verzeichnete im Jahr 1600 für Lathwehren 23 Hofstellen, wovon aber nur neun oder zehn mit genügend Land ausgestattet waren, um ihre Bewohner von der Landwirtschaft zu ernähren. Für 1689 erlaubt eine Kopfsteuerbeschreibung erstmals die Feststellung einer ungefähren Einwohnerzahl. Demnach lebten damals knapp 200 Menschen im Dorf.
Traditionelle Baumaterialien
Die ältesten Häuser in Lathwehren wurden - wie früher kaum anders möglich - aus Materialien gebaut, die in unmittelbarer Nähe vorhanden waren: Holz, Lehm und Stroh. In einigen Fachwerkgebäuden des Dorfes finden wir heute noch Gefache mit Holzflechtwerk und Lehmbewurf. Später ging man dazu über, die Gefache mit handgeformten Lehmsteinen zu füllen, welche mit Lehm verstrichen wurden. Dorfbewohnern, die zuwenig Ackerland hatten, um von dessen Bewirtschaftung leben zu können, bot die Herstellung von Lehmziegeln eine willkommene Erwerbsquelle.
Die Lathwehrener Ziegelei
Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts schufen Spielräume für unternehmerische Initiative. Um 1850 konnte der Kleinkötner Friedrich Zieseniß außerhalb des Dorfes, am Großen Holz, eine Ziegelei mit einem Brennofen gründen. Bis 1898 wurden dort in sommerlicher Saisonarbeit jährlich 200-300.000 Ziegelsteine hergestellt, weitgehend in Handarbeit.
Und so kam es, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Lathwehren viele Neubauten aus gebrannten Tonziegeln entstanden, die heute stellenweise das Ortsbild prägen. Ganze Hofstellen wurden neu erbaut und dabei z.T. nach Norden an die heutige Georgstraße verlegt. Die Grundrisse dieser Ziegelbauten orientierten sich noch am traditionellen niederdeutschen Hallenhaus mit großem Dielentor; die Trennung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, wie sie mit den "Zuckerrübenburgen" um 1900 allgemein im Calenberger Land einsetzte, wurde noch nicht vollzogen. Typisch für diese Häuser sind die Zahnkränze, die die Giebel gliedern und teilweise auch die Traufseiten zieren.
Auch die für Lathwehren typischen Backsteinmauern zur Einfriedung der Hofstellen stammen aus dieser Zeit; hier wurden die minderwertigen Ziegel 2. Wahl verarbeitet.
Als 1896/98 die 1. preußische Landesaufnahme entstand, gab es die Ziesenißsche Ziegelei östlich des Dorfes noch.
Die Dorfschule und der Friedhof
Das Lathwehrener Schulhaus von 1726, in den 1990er Jahren liebevoll restauriert und zu einem modernen Wohnhaus umgebaut.
Das vermutlich zweite, heute noch erhaltene Lathwehrener Schulhaus wurde 1726 erbaut, 1778 durch einen Ziegelanbau erweitert. (Das erste Haus mit einer Schulstube soll an gleicher Stelle gestanden haben.) 1845 wurde am Poggenhuhnweg eine neue Schule gebaut, und auch dieses Haus mußte 1892 erweitert werden. Nachdem die Dorfschule im Zuge der niedersächsischen Schulreform 1965 aufgelöst worden war, haben die Einwohner das Gebäude 1984/85 in Eigenleistung zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut.
Kirchlich gehörte Lathwehren traditionell zu Kirchwehren, und dementsprechend diente der dortige Kirchhof die längste Zeit als Begräbnisplatz. Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts ermöglichten auch in dieser Hinsicht Veränderungen, und so konnte 1862 am nordwestlichen Dorfrand ein eigener Friedhof angelegt werden (Fertigstellung 1864/65), der 1968 eine Friedhofskapelle erhielt. Hier fand die aus dem Jahre 1650 stammende Bronzeglocke einen würdigen Platz, welche zuvor über 300 Jahre lang vom Schulhaus herunter die Tageszeiten (Arbeitsbeginn, Mittag, Feierabend) verkündet, zum Kirchgang gerufen und Feueralarm geläutet hatte.
Friedensglocke Lathwehren seit 1650 - Leinezeitung 26. 9. 2011
Das Dorf in den letzten hundert Jahren
In der Zeit von der Jahrhundertwende 1900 bis zum 2. Weltkrieg wurden in Lathwehren nur wenige Häuser neu gebaut. Eisenbahn, Kanal und große Straßen waren zu weit entfernt, um die jahrhundertealte Struktur des kleinen Dorfes am Fuße des Stemmer Berges allzu rasch zu verändern. Erst etwa 1960 setzte eine stärkere Bautätigkeit ein, als Heimatvertriebene und Großstadtpendler mit einem der immer erschwinglicher werdenden Automobile eigene Wohnhäuser errichteten; vorwiegend wurden dabei Baulücken geschlossen.
Bis dahin war das Dorf von der Landwirtschaft und der entsprechenden Bebauung beherrscht, was sich nun allmählich veränderte. Während Lathwehren um 1900 noch 25 bäuerliche Hofstellen hatte, gab es 2003 nur noch drei Vollerwerbshöfe und zwei Nebenerwerbslandwirte. Mit der bäuerlichen Viehhaltung sind gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch die großen und kleinen Misthaufen (einst mehr als 30 Stück), die früher das Ortsbild prägten, immer weniger geworden und inzwischen vollständig verschwunden.
Noch bis Ende der 1950er Jahre wurden die Schweine in Lathwehren vom Hirten auf die Weide getrieben
1929 wurde das Rittergut Dunau nach Lathwehren eingemeindet. Die Einwohnerzahl des Ortes liegt 2019 bei gut 500 und ist damit seit 1939 (300) nur moderat angestiegen. In den hundert Jahren davor hatte sich die Einwohnerzahl nur geringfügig, mal nach oben, mal nach unten verändert: 1870 waren ebenfalls 300 Einwohner gezählt worden, 1905 war die Zahl einmal auf 324 gestiegen. Aber auch 1848 hatten schon 313 Menschen im Dorf gelebt.
Im Zuge der niedersächsischen Verwaltungs- und Gebietsreform wurde Lathwehren 1974 ein Teil der neu gebildeten Großgemeinde Seelze (1977: Stadt). Die traditionelle Verbindung mit Kirchwehren ist bis heute erhalten, nicht zuletzt in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Dreieinigkeit, zu welcher seit 1960 auch Almhorst gehört.
Wenn sich auch manches verändert hat - Lathwehren hat sich bis heute viel von seinem dörflichen Charme bewahrt.
Norbert Saul, Stadtarchiv
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