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Ortsgeschichte Gümmer
Zeugnisse früher Besiedlung
Schon häufig sind in Gümmer und seiner unmittelbaren Umgebung Zeugnisse früher Besiedlung gefunden worden, z.B. 1974 im Gümmerwald (Klärwerksgelände) Reste eines Frauenbegräbnisses der Bronzezeit oder in den 1990er Jahren ein Steinbeil direkt im Dorf. Besonders spektakulär waren die Ergebnisse einer Grabung auf dem Krähenberg nordwestlich des Dorfes im Sommer 2003, wo ein ganzes Gräberfeld (Urnenbeisetzungen) aus der frühen Eisenzeit freigelegt wurde. 2019 wurden bei der Vorbereitung eines Bauvorhabens Siedlungsreste und Spuren einer Eisenschmelzanlage aus dem Jahrtausend vor Christi Geburt gefunden.
Die Siedlungsbedingungen sind hier also schon früh günstig gewesen, dennoch können wir für Zeiträume vor dem Mittelalter in aller Regel keine Siedlungskontinuität annehmen, die es erlauben würde, beispielsweise von einem "bronzezeitlichen Gümmer" zu sprechen.
Urne mit Beigefäßen, 2./3. Jahrhundert v. Chr., Krähenberg Gümmer 2003
Die Deutung des Ortsnamens
Die Deutung von Ortsnamen ist eine schwierige Disziplin, und die Forscher bewegen sich wohl häufiger auf schwankendem als auf festem Boden. Jahrzehntelang war man im Raum Hannover froh, daß Max Mittelhäußer es 1929 unternommen hatte, eine Fülle hiesiger Ortsnamen zu deuten (veröffentlicht in den Hannoverschen Geschichtsblättern Nr. 32). Siebzig Jahre gingen ins Land, bis Uwe Ohainski und Jürgen Udolph mit ihrem umfassenden Ortsnamenbuch für Stadt und Landkreis (heute "Region") Hannover (1998) diese Arbeit teils fortsetzten, teils korrigierten - im Falle Gümmers eindeutig korrigierten: "Mittelhäußers Deutung zu einer germanischen Göttin Gambara [Göttin der Markgenossen] ist mit Sicherheit falsch ." Eine sprachliche Entwicklung vom a zum u (später ü) sei auszuschließen. Statt dessen gehen die Autoren von einem Ursprung gumbe, gumpe (althochdeutsch, alemannisch) aus, woraus im hiesigen Mittelniederdeutsch gumme wird. Die Bedeutung: Tümpel, Vertiefung mit Wasser. Im Wege der sogenannten Suffixbildung (Anhängen von Endungen) wäre demnach aus dem Grundwort schließlich Gummer(e) geworden, ab Anfang des 17. Jahrhunderts Gümmer. Wer Gümmer bei den regelmäßigen Leinehochwassern besucht, wird dieser Deutung etwas abgewinnen können.
Erste Erwähnung im 12. Jahrhundert
Obwohl ein Ortsname mit Suffixendung auf ein hohes Alter der Siedlung hindeutet (spätere Ortsnamen wurden oft aus zwei Worten zusammengesetzt) wissen wir von einer urkundlichen Erwähnung Gümmers erst aus dem späten 12. Jahrhundert. Mechthild von Ricklingen schenkte dem Bischof von Minden (unsere Gegend gehörte zu diesem Bistum) die Herrschaft über rund 250 Morgen Land in Gummere mitsamt den Bauernfamilien, die es bewirtschafteten. Die Datierung ist unsicher, vermutlich fand die Schenkung zwischen 1185 und 1189 statt.
Seit dem Mittelalter Seelzer Kapellengemeinde
Es ist davon auszugehen, daß Gümmer schon mit der Bildung der Pfarrgemeinde und des Kirchspiels Seelze (vielleicht im 11., spätestens im 12. Jahrhundert) Seelzer Kapellengemeinde wurde. Eine kleine Holz- oder Fachwerkkapelle wird wohl schon damals hier gestanden haben. 1385, in einer der Fehden des Lüneburger Erbfolgekrieges, ist diese Kapelle offenbar zerstört worden. Es sei u.a. "dat Dorp Gummere, Kerken und Kerckhoff affgebrand", heißt es in einer Schadensaufstellung. Von einem Wiederaufbau bzw. Neubau wissen wir sicher erst aus dem Jahr 1508. Diese Jahreszahl trägt das gotische Bauwerk, welches noch heute als Kirche dient.
Die gümmersche Kapelle vor etwa hundert Jahren.
Als Kapellengemeinde hatte Gümmer keinen eigenen Pfarrer; dieser kam nur zweimal im Jahr aus Seelze zur Messe in der Kapelle. Die übrigen 50 Sonntage (zuzüglich der Feiertage) mußten die Gümmeraner nach Seelze in die Kirche gehen - was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Und bis 1860 mußten sie auch ihre Toten nach Seelze tragen, wo der Kirchhof die einzige geweihte Begräbnisstätte für die sieben Dörfer des Kirchspiels war. Als in Seelze 1859 ein separater Friedhof südlich des Dorfes angelegt wurde, bekam Gümmer 1860 als erstes "Filial-Dorf" einen eigenen Begräbnisplatz. 1965 wurde eine Friedhofskapelle gebaut.
Nach vielen Jahrhunderten als Seelzer Kapellengemeinde wurde Gümmer 1958 mit dem Nachbardorf Dedensen zu einer Kirchengemeinde vereint und wird seither vom Dedenser Pfarrer betreut.
Die einstige Dorfschule
Da Schule früher eine Veranstaltung der Kirche war, mußten auch die Kinder aus Gümmer anfangs (ab 1584) nach Seelze in die einzige Kirchspielschule gehen. Als erstes der sechs Seelzer "Filialdörfer" leistete sich Gümmer 1679 eine eigene Schule, für die 1782 ein neues Gebäude errichtet wurde.
Das Haus diente, wie allgemein üblich, vor allem dem Schulmeister und seiner Familie als Wohn- und Wirtschaftsgebäude (für den notwendigen "landwirtschaftlichen Nebenerwerb", wie man heute sagen würde), und die kleine Schulstube mußte Dutzende Kinder aller acht Jahrgänge fassen; 1834 waren es beispielsweise 63. Und als das Haus 1913 umgebaut wurde, diente dies den veränderten Nutzungsansprüchen der Lehrerfamilie, nicht aber der Vergrößerung des Schulzimmers.
Flüchtlinge und Vertriebene ließen Gümmers Einwohner- und Schülerzahlen nach dem 2. Weltkrieg enorm anwachsen. So wurde dringend ein neues Schulhaus benötigt, welches im August 1953 eingeweiht werden konnte (Zum Wiesengrund, heute Kindergarten). Im Rahmen der niedersächsischen Schulreform wurden 1966 die Klassen 5 bis 9 nach Seelze umgeschult, und 1971 folgten ihnen die Klassen 1 bis 4. Die Grundschulkinder wurden 1993 nochmals nach Lohnde umgeschult.
Gümmers 1782 errichtetes Schulhaus an der Osnabrücker Landstraße, das bis 1953 die Dorfschule beherbergte.
Die Bevölkerung vom 16. Jahrhundert bis heute
Als die wehrfähigen Männer des Fürstentums Calenberg 1585 in Neustadt dem neuen Herzog Julius huldigten, mußten aus Gümmer 24 oder 25 Hofwirte (ein Name wird doppelt genannt) mit Vorderladern oder Federspießen antreten. Im Lagerbuch des Amtes Blumenau (1600) sind 24 Höfe verzeichnet. Doch nur 14 davon hatten soviel Land, daß sie vermutlich den Lebensunterhalt aus dessen Bewirtschaftung bestreiten konnten. Aus der Musterungsrolle wissen wir, daß außerdem einige Familien zur Miete wohnten (Häuslinge genannt). Größter Grundherr in Gümmer war zu jener Zeit das adelige Haus von Mandelsloh.
Die erste Einwohnerzahl können wir einer Kopfsteuerliste von 1689 entnehmen, wonach 163 Menschen im Dorf lebten. Soweit Berufe genannt werden, handelt es sich um Schneider, Leineweber, Koch, Garnhändler und Krüger (Gastwirt) sowie die eng mit der Landwirtschaft verbundenen Viehhirten. Daneben werden viele "kleine Leute" im Tagelohn auf größeren Höfen gearbeitet haben.
Gümmer nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781. Im Südwesten reichte der Wald noch dicht ans Dorf heran. Die Zahl 32 bedeutet, daß das Dorf 32 Hofstellen hat. In der Dorfmitte ist als Kreuz die Kapelle eingezeichnet.
1821 war die Einwohnerzahl auf 273 angestiegen und sie wuchs in den nächsten hundert Jahren weiter bis auf rund 460 (1925). Ab 1847 fuhr die Eisenbahn südlich am Dorf vorbei, und einer Steuerliste können wir entnehmen, daß 1873 (350 Einwohner) bereits 19 Männer aus Gümmer bei der Eisenbahn ihr Brot verdienten. Daneben gab es eine Vielzahl von Handwerksberufen: Schuhmacher, Tischler, Schlosser, Schmied, Weber, Leineweber, Drechsler, Stellmacher, Maurer, Schneider, Näherin und Böttcher. Das einstige Bauerndorf hatte sich schon deutlich gewandelt.
Gümmer nach der 1. Preußischen Landesaufnahme 1898. Gute hundert Jahre nach der Kartenaufnahme von 1781 hat sich einiges verändert. Ins Auge fallen die Eisenbahn mit zwei Bahnwärterhäuschen an den Bahnübergängen südlich des Dorfes und dem Haltepunkt Dedensen (seit 1893). In südlicher und vor allem westlicher Richtung ist das Dorf deutlich gewachsen, der Wald ist teilweise abgeholzt worden.
Hunderte Flüchtlinge und Vertriebene ließen nach dem 2. Weltkrieg die Einwohnerzahl auf 850 (1946) hochschnellen, erst 1957 war sie wieder auf 700 gesunken, wo sie sich für längere Zeit einpendelte. 1969/70 setzte neues Wachstum durch Schaffung neuen Wohnraums ein, und ab 1975 lagen die Zahlen bei gut 900. Nach Ausweisung größerer Baugebiete wuchs die Einwohnerschaft ab Ende der 1980er Jahre in kurzer Zeit auf rund 1.800 an, wo sich die Zahlen ab 1992 stabilisierten. 1995 wurde die 2.000 überschritten, und heute, 2019 leben knapp 2.100 Menschen in Gümmer.
Der Maler August Heitmüller
August Heitmüller (geboren 1873) stammte aus der Kleinkötnerstelle Gümmer Nr. 19, sein Vater war Schuhmacher. Nach dem Besuch der Dorfschule lernte er in Hannover Dekorationsmalerei und studierte später in München. Von hannoverschen Mäzenen unterstützt, konnte er Studienreisen nach Frankreich, Belgien, Holland, England und Spanien unternehmen.
In seinem von der neuen Sachlichkeit beeinflußten Schaffen konzentrierte er sich auf die Portraitmalerei. Vor dem 1. Weltkrieg arbeitete er in einem Atelier in Gümmer, dann in Bad Nenndorf und Hannover. Anfang der 1920er Jahre erkrankte er schwer und war zunehmend auf Pflege angewiesen. Er starb 1935 in der Nähe von Meran.
August Heitmüller: Freundespaar, Öl auf Leinwand, 1925 (Schwules Museum Berlin)
Der Zollkrug
Die heutige Osnabrücker Landstraße (im 18. Jahrhundert Osnabrücker Heer- oder Poststraße) ist in diesem Bereich vermutlich im 13. Jahrhundert von den Grafen von Roden angelegt oder ausgebaut worden und verband ihre Burgen in Wunstorf und Hannover bzw. Limmer. An solchen Überlandwegen entstanden schon früh Gasthöfe zum Rasten und Pferdeausspannen. Ab wann dies in Gümmer möglich war, wissen wir nicht, urkundlich ist der heutige Zollkrug an dieser Stelle ab 1583.
Nachdem man im Hannoverschen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der systematischen Instandsetzung der Landstraßen begonnen hatte, wurde von den Nutzern ein Wegegeld (auch Landzoll genannt) erhoben, welches wiederum der Instandhaltung zugute kommen sollte. Der gümmersche Krüger Friedrich Pfingsten pachtete diesen Zoll 1809, sperrte die Straße vor dem Krug mit Schranken und forderte von Durchreisenden nach amtlich festgelegtem Tarif ein Wegegeld.
Der Zoll-Rolle des Amtes Blumenau ist der Wegegeldtarif Anfang des 19. Jahrhunderts zu entnehmen: "1. Von einem Frachtwagen, welcher Kaufmannsgüter und Meßwaaren geladen, er sey stark oder schwach bespannt 4 Groschen / 2. Von einem Faß Brandtwein 3 Groschen / 3. Einer Fracht- oder Hopfenkarre nur 2 Groschen / 4. Von andern Bauernwagen und Karren, und zwar von ausländischen, auch aus dem Cellischen, von jedem angespannten Pferde 4 Pfennige / (...) 7. Von einem Stück Hornvieh 4 Pfennige / 8. Von einem Kalbe, wenn es nicht bey der Kuh ist 2 Pfennige / (...) 12. Von einer Schieb-Karre 4 Pfennige / 13. Von einen Trage-Packen 2 Pfennige / 14. Von einem Juden, der mit keinen Schutz-Briefe versehen ist, an Leibzoll 2 Pfennige."
1825 wurden alle hannoverschen Binnenzölle abgeschafft und die Schranken und Schilder entfernt.
Tiefgreifender Wandel seit dem 19. Jahrhundert
Die Eisenbahn war 1847 das augenfällige Symbol tiefgreifender technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen. Zu dieser Zeit wurde auch die seit dem Mittelalter bestehende Grundherrschaft abgelöst und damit individueller Flexibilität, Mobilität und Initiative allmählich der Weg geebnet. Schneller als zuvor veränderte sich nun die Erwerbsstruktur im Dorf, und im nächsten Schritt fanden Menschen ihren Broterwerb außerhalb des Dorfes, sei es bei der Eisenbahn, sei es in Berenbosteler Ziegeleien, in Lindener oder Seelzer Fabriken oder auf unzähligen Baustellen in Hannover.
Wie alle großstadtnahen Dörfer entwickelte sich Gümmer ab den 1950er Jahren zu einer Pendlergemeinde, wo die meisten Einwohner nur noch wohnen, aber nicht mehr arbeiten. 1961 gab es noch 6 Vollerwerbsbauernhöfe und 6, die nebenher bewirtschaftet wurden; 1986 waren es 3 Vollerwerbs- und 3 Nebenerwerbshöfe.
1966 wurde der Wandel in der erstmaligen Vergabe von Straßennamen sichtbar. Bis dahin hatte es, wie in Dörfern üblich, nur Hausnummern gegeben. Zu einer straßenweisen Hausnumerierung ging man aber erst 1974 über, als Gümmer ein Teil der Großgemeinde (ab 1977 Stadt) Seelze wurde.
Heute hat sich Gümmer erheblich über den alten Dorfkern hinaus ausgedehnt und ist bis an den S-Bahn-Haltpunkt herangewachsen. Dieser "verkürzt" den Weg nach Hannover und trägt zur Attraktivität des Wohnstandortes bei.
Ein Blick in das Gümmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts (heute Spreinswinkel). Das Foto des Hauses Nr. 53 (im Hintergrund Hof Nr. 10) entstand etwa 1905. In der Tür Schneidermeister Conrad Röhrbein mit Frau Sophie und Tochter Bertha, oben in den Fenstern Geselle und Lehrjunge, in der Pforte zur Nr. 10 Hofbesitzer Conrad Röhrbein, rechts mit Kinderwagen Frau Knösel.
Ansichtskarte aus den 1950er Jahren. Die nahe (und gänzlich leere) Autobahn wird offenbar als günstiger Standortfaktor für die Gastronomie gesehen - zu einer Zeit, als die Städter begannen, mit ihrem VW Käfer sonntags ins Grüne zu fahren.
Dort, wo das Dorf zwischen Chaussee und Leineniederung einst entstand, gibt es auch heute noch manch idyllisches Fleckchen. (Foto: Horst Siele)
Norbert Saul, Stadtarchiv
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