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Ortsgeschichte Dedensen
Wenn wir nach dem Alter eines Ortes und nach der Bedeutung seines Namens fragen, sind wir gleichermaßen auf die Erkenntnisse und Mutmaßungen der Fachleute von der Ortsnamenforschung verwiesen.
Der Ortsname
In bestimmten Siedlungsphasen waren bestimmte Namensbildungen üblich, und so ergab sich z.B. die große Gruppe der Ortsnamen auf -husen (hochdeutsch -hausen). Die Wissenschaftler Ohainski und Udolph (Ortsnamenbuch der Region Hannover) rechnen Dedensen - mit der Endsilbe -sen als abgeschliffenem -husen - dieser Gruppe zu (vgl. im Umkreis etwa Idensen und Garbsen). Ohne genauere Festlegung des Alters werden diese Dörfer zu den jüngeren Gründungen gezählt. Der erste Teil des Ortsnamens Dedensen geht nach Meinung der Fachleute auf einen Personennamen (Ursprung: germanisch Theuda) zurück.
Ersterwähnung und mittelalterliche Einwohner
Die älteste bekannte schriftliche Erwähnung Dedensens läßt sich nicht auf ein Jahr festlegen, sie stammt aus dem Zeitraum 1205 bis 1234. Graf Burchard von Oldenburg aus dem im Deisterraum ansässigen Adelsgeschlecht von Hallermunt verkauft dem 1148 von den Hallermunts gegründeten Kloster Schinna (an der Weser bei Stolzenau) zwei Curien (größere Höfe) in Dedensen. In einer Urkunde des Jahres 1290 wird erstmals ein Einwohner namentlich erwähnt (Brant), und Wilfried Sasse, Verfasser der Dedenser Chronik, geht zudem davon aus, daß es hier zu jener Zeit eine Familie des niederen Adels gab, die sich von Dedensen nannte. Er führt dafür Urkundenbelege vom späten 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert an.
Zuzug aus verlassenen Dörfern
Viele kleine Siedlungen des Calenberger Landes sind im Mittelalter, vor allem im 14. Jahrhundert aufgegeben worden, heute sprechen wir von Ortswüstungen. Die Bewohner zogen wohl in Nachbardörfer, die Felder wurden von dort aus weiter bewirtschaftet. So geschah es in unserem Fall mit Deistorf (auch Deestorf oder Thetwardestorp), dessen Höfe einst im Westen Dedensens gestanden haben sollen, etwa dort, wo heute die Mergelgrube im Winkel von Autobahn und Mittellandkanal liegt. Zahlreiche Urkunden zeugen ab dem späten 12. Jahrhundert von der Existenz des Ortes, dessen Gemarkung später zwischen Luthe, Kolenfeld und Dedensen aufgeteilt wurde. Zwischen Kolenfeld und Dedensen muß auch Ewippe (urkundlich 1252) gelegen haben, dessen Höfe in der frühen Neuzeit ebenfalls nicht mehr existierten. Das Lagerbuch des Amtes Blumenau (1600/1655) verzeichnet bei vier Dedenser Kötnerstellen, daß sie Land aus der Ewipper und der Deestorfer Teilung haben. Ein weiterer kleiner Ort lag südlich von Dedensen östlich der Straße nach Ostermunzel. Die Wüstung Dischehusen (auch Didersinghusen oder Dissinghausen) gehört heute zur Gemarkung Ostermunzel.
Von der Kapellen- zur Pfarrgemeinde
Mit seinen 41 Hofstellen (Blumenauer Lagerbuch 1600), von denen freilich nur 15 soviel Land hatten, daß sie von dessen Bewirtschaftung leben konnten, war Dedensen um 1600 ein großes Dorf (das benachbarte Gümmer z.B. hatte 24 Hofstellen). Das mag erklären, warum die bis dahin nach Groß Munzel eingepfarrte Kapellengemeinde 1604 zur selbständigen Pfarrgemeinde wurde. Das 1897 abgerissene kleine, aus Bruchsteinen gemauerte Gotteshaus war nach dem Urteil von Conrad Wilhelm Hase, Baumeister der heutigen Kirche, im Kern noch mittelalterlichen (romanischen) Ursprungs und mag daher als (sicherlich mehrfach umgebaute und erweiterte) Kapelle aus der Gründungsphase des Kirchspiels Groß Munzel anzusprechen sein.
Möglich erscheint aber auch die Variante, daß Dedensen vor längerer Zeit schon einmal selbständige Pfarrgemeinde gewesen war. Jedenfalls behaupteten das die Dedenser, als sie 1604 die Lösung von Groß Munzel beantragten. Und sie benannten auch einen Hof im Dorf, der einst Pfarrhof gewesen, nun aber verpachtet sei. Beweisen konnten sie freilich nichts. Doch taucht im Generalvisitationsbericht 1544 ein stützendes Indiz auf; denn zum Dedenser Inventar gehörte seinerzeit ein wertvoller Abendmahlskelch, was für eine Kapellengemeinde eher ungewöhnlich war.
Der Kirchhof um die alte Kirche (Altes Dorf 15) diente mindestens seit Anfang des 17. Jahrhunderts als Begräbnisplatz der Gemeinde, bis 1925 südlich vor dem Dorfe der heutige Friedhof angelegt wurde. 1965 wurde dort eine Kapelle errichtet.
Conrad Wilhelm Hase, der später die heutige Kirche erbaute, fertigte diese Zeichnung von der alten Kirche 1891. Im Bereich des Chores sah er romanische Stilelemente, die auf ein hohes Alter der ursprünglichen Kapelle hindeuten.
Dorfschule seit 400 Jahren?
Die selbständige Kirchengemeinde mußte nicht nur einen neuen Pfarrhof (auch Pastoren lebten damals von Ackerbau und Viehzucht), sondern auch eine eigene Schule bereithalten. (Zum Vergleich: In Seelze wurde die Kirchspielschule 1584, als die Kirchenordnung des Braunschweiger Herzogs Julius in Kraft trat, gegründet.) Wann in Dedensen die ersten Kinder zum Unterricht ins Küsterhaus gingen, wissen wir nicht, vermutlich aber schon bald nach 1604. 1655 ist jedenfalls im Blumenauer Lagerbuch von einem Küster und Schulmeister die Rede. Weit über 300 Jahre durchliefen ungezählte Dedenser/innen hier, in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche ihre Volksschulzeit. Seit 1974 werden in der Dorfschule - am neuen Standort in Nachbarschaft der neuen Kirche - nur noch die ersten vier Grundschuljahrgänge unterrichtet. Wenn wir annehmen, daß die Schule einst etwa gleichzeitig mit der Pfarre entstand, könnte sie heute wie diese auf eine über 400jährige Geschichte zurückblicken.
Lehrer Wöhler mit Familie vor dem 1897/98 erbauten Schulhaus (heute "Haus der Vereine")
Die Menschen im Dorf
Aus einer Kopfsteuerliste des Jahres 1689 erfahren wir erstmals, wieviele Menschen damals in Dedensen gelebt haben, ihre Namen und hier und da einen besonderen Broterwerb oder Beruf, wie wir heute sagen würden. 266 Personen sind als Steuerpflichtige verzeichnet, dazu kamen der Pfarrer und der Küster bzw. Lehrer mit ihren Familien; zusammen mögen wir also auf 270 bis 280 kommen. Wie damals üblich, gab es einen Schafmeister, der auch schon 1600 erwähnt wird; bis zu 400 Schafe durfte er für die Gemeinde auf die Weide treiben. Ebenso schon 1600 wird ein Krüger genannt. Typisch ländliches Handwerk übten ein Böttcher und ein Schneider aus, daneben gab es noch Kuh- und Pferdehirten, Soldaten und einen Botengänger ("Läufer").
Aus einer Quelle des Jahres 1774 wird deutlich, daß allmählich Bewegung in das Sozialgefüge des Dorfes kam. Neu erwähnt werden ein Schmied, zwei Schuster, zwei Zimmerleute, zwei Leineweber, ein Grützmüller und zwei weiteren Schneider.
1792 hatte die 1750 gegründete hannoversche Brandkasse in Dedensen 46 Hausnummern vergeben (einschließlich Kirche und Pfarrwitwenhaus). 85 Jahre später (Klassensteuerliste 1877) war das Dorf auf 57 Hausnummern und 444 Personen angewachsen. Auffällig sind 8 Beschäftigte bei der Eisenbahn und 5 in der Försterei, daneben ein Viehhändler, ein Lumpensammler, ein Seiler, ein Gemeindediener und eine Hebamme.
Bis zum Beginn des 2. Weltkriegs stieg die Bevölkerungszahl auf 590, mit den Flüchtlingsströmen nach 1945 bis auf rund 1.200 und dann wieder ab Ende der 1960er Jahre bis auf über 2.000 (2018: rund 2.100).
1949 wurde mit dem Bau der Siedlungshäuser am Drosselweg im Eck zwischen Kanal, Autobahn und Eisenbahn begonnen.
Landwirtschaft, Försterei und Mergelabbau
Die Ernährungsgrundlage des Dorfes bildeten Jahrhunderte lang der Boden und der Wald. Der Wald, der in Dorfnähe immer in reichem Maße zu finden war, lieferte früher Bau- und Brennholz und er diente als Weide für das Vieh, vor allem für die Schweinemast im Herbst. Nachdem die landesherrlichen Forsten lange Zeit von Luthe aus betreut und verwaltet worden waren, erhielt Dedensen um 1880 eine eigene Oberförsterei. Seit 1997 ist das alte Forsthaus hinter der Autobahn aber verwaist, die Dienststelle wurde nach Egestorf am Deister verlegt.
Schon im Jahr 1600 (Blumenauer Lagerbuch) wird eine Mergelgrube vor dem Dorfe erwähnt. In der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1781) ist sie ebenfalls verzeichnet, und zeitweise wurde im Westen der Gemarkung (heute jenseits der Autobahn) in großem Stil Kalkmergel abgebaut und in der Wunstorfer Zementfabrik verarbeitet. Kanal- und Autobahnbau machten die Ausbeutung jedoch immer unwirtschaftlicher, und 1980 wurde die Mergelgrube schließlich weitgehend stillgelegt. Heute bildet sie einen geschützten Rückzugsraum für viele seltene Pflanzen und Tiere.
Eisenbahn, Kanal und Autobahn
1847 schnaufte der erste Dampfzug nördlich von Dedensen vorbei nach Wunstorf, und die Eisenbahn brachte in der Folgezeit manche Veränderung mit sich. 1877 lebten acht Eisenbahnerfamilien in Dedensen, 1891 begannen die Planungen für einen zusätzlichen Haltepunkt zwischen Seelze und Wunstorf und 1893 hielt der erste Zug in Dedensen.
Die Dedenser Bahnhofsgebäude in den 1950er Jahren, damals noch mit Fahrkartenschalter, Stückgutannahme, Warteraum und Fahrradaufbewahrung.
Eine Großbaustelle bis dahin nicht gekannten Ausmaßes näherte sich dem Dorf nach der Jahrhundertwende: der Ems-Weser-Elbe-Kanal (heute Mittellandkanal). Das Kanalbett zerschnitt die Landschaft und alte Wegeverbindungen, aufwendige Brückenbauwerke wurden notwendig, Wasserläufe mussten in Rohre verlegt werden. 1916 wurde der hiesige Kanalabschnitt geflutet.
Gut zwanzig Jahre später durchschnitt mit der Reichsautobahn noch ein weiterer Verkehrsweg die Dedenser Gemarkung und mußte mit einer Brücke über den Mittellandkanal geführt werden. Diese neuen Verkehrswege, die allesamt ein einfaches Überqueren nicht zulassen und großenteils künstliche Dämme beanspruchen, prägen heute in starkem Maße den Eindruck von der Dorflage und ihrer Umgebung nach Westen und Norden hin.
Das Bett des Mittellandkanals zerschnitt alte Wegeverbindungen und schuf neue, die mit Brücken und langen Anfahrtsrampen die Landschaft veränderten. Hier der Brückenbau zum Bahnhof und nach Gümmer hinüber. Für immer zerschnitten war der direkte Weg von der im Hintergrund zu sehenden Siedlung Unter den Linden zum Bahnhof.
Vom Amt Blumenau zur Stadt Seelze
Als die Welfen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begannen, im Raum westlich von Hannover ihre Landesherrschaft zu errichten, entstand das Amt Blumenau (Amtssitz bei Wunstorf), in welchem der mittelalterliche Go (Verwaltungsbezirk) Seelze aufging. Zu diesem Herrschaftsbezirk gehörte auch Dedensen. Es war aber sicherlich nie so stark nach Seelze orientiert wie etwa das Nachbardorf Gümmer, weil es kirchlich nach Groß Munzel gehörte.
Das Amt Blumenau, das mit insgesamt 21 Ortschaften auch Dedensens westliche und südliche Nachbardörfer umschloß, wurde 1859 aufgelöst. Zwischen Gümmer und Dedensen verlief fortan die Grenze zwischen den Ämtern Linden und Neustadt (ab 1884 Landkreis), was Dedensens Orientierung nach dem ohnehin nahen Wunstorf und nach Neustadt begünstigte. So nimmt es nicht wunder, daß die Dedenser sich etwas schwer taten, als sie sich 1974 im Zuge der niedersächsischen Verwaltungs- und Gebietsreform in die Großgemeinde (ab 1977 Stadt) Seelze hineinfinden sollten. Doch hatte schon die evangelisch-lutherische Kirche 1958 neue Grenzen gezogen, indem sie Gümmer mit Dedensen zu einer Pfarrgemeinde vereinte. Der Zuwachs an individueller Mobilität und die sehr gute Verkehrsanbildung in Richtung Seelze-Hannover haben die Integration in den letzten Jahrzehnten weiter erleichtert.
Dorfmodell 1604 - 2004
Aus Anlaß der Vierhundertjahrfeier der Kirchengemeinde Dedensen hat der Dedenser Heimatverein zu Pfingsten 2004 auf dem alten Friedhof (Standort der alten Kirche bis 1897) ein Modell des Dorfes aufgebaut, wie es 1604 ausgesehen haben könnte. Anzahl und Lage der Hofstellen um 1600 sind einigermaßen verläßlich bekannt, bei der Gestaltung der Gebäude waren die Modellbauer jedoch naturgemäß auf Mutmaßungen und ihre Phantasie verwiesen. Die alte Kirche konnte nach einem Foto aus dem 19. Jahrhundert gestaltet werden.
Dorfmodell Dedensen
Die Kirche im Dorfmodell Dedensen
Norbert Saul, Stadtarchiv
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