Inhaltsbereich
Johann Egestorff - Biografie
Johann Egestorff
Vom Lohnder Kleinbauernsohn zur ersten Lindener Unternehmerpersönlichkeit
Wir können von Johann Egestorff schlecht als dem "größten Sohn der Stadt Seelze" sprechen, weil es die Stadt Seelze erst seit 1977 gibt. Aber Lohnde, wo Egestorff geboren und aufgewachsen ist, ist heute ein Seelzer Stadtteil, und Egestorff ist sicherlich eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, welche das heutige Stadtgebiet hervorgebracht hat.
Herkunft und Kindheit
Johann Hinrich Egestorff ist am 22. Oktober 1772 in Lohnde geboren, drei Tage später wurde er in Seelze in der heutigen Martinskirche getauft. Der Kirchenneubau (noch ohne Turmspitze) war 1769 fertig geworden, nachdem ein Großbrand 1755 die alte Kirche und das halbe Dorf zerstört hatte. Johann war der zweite Sohn des Lohnder Brinksitzers Nr. 24 Jobst Hinrich Egestorff und seiner Frau Anna Cathrine, geb. Tölke. Sein Bruder Hinrich Christoffer war vier Jahre älter, der Erstgeborene Johann Hinrich Diedrich war mit einem Jahr an den Blattern gestorben.
Johanns Urgroßvater Dietrich war aus einer Armeleutestelle in Seelze (Kleinkötner Nr. 27) als Dienstjunge nach Lohnde gekommen und konnte hier um 1700 in die Brinksitzerstelle Nr. 24 einheiraten. Zu der Stelle gehörte ursprünglich nur ein Stück Gartenland, zu Johanns Zeiten zusätzlich ein Morgen Acker.
Leute wie Dietrich Egestorff und seine Familie arbeiteten zumeist als Tagelöhner auf größeren Höfen. Von Dietrichs Sohn Hans Hinrich wissen wir, daß er die Leinefischerei gepachtet und als Fährmann die kleine Bauernfähre über die Leine bedient hatte. (Die heutige Brücke ersetzte die Fähre 1912/14.) Und auch dessen Sohn (Johanns Vater) hatte die Fischrei in der Leine und im Lohnder Bach gepachtet, und zu seiner Zeit konnte der Brinksitzer Nr. 24 sich immerhin schon eine Kuh halten. Fleiß und Strebsamkeit lagen wohl in der Familie.
Die Schulzeit
Ab 1779 müßte der sechsjährige Johann in die Lohnder Dorfschule gegangen sein. Wie damals und noch lange danach üblich, lernte und sprach er als Kind natürlich nur das hiesige Calenberger Platt, und ob er überhaupt je Hochdeutsch lernte, wissen wir nicht. Einige anekdotische Zitate von dem älteren Erwachsenen sind jedenfalls in Plattdeutsch überliefert.
Die räumlichen Verhältnisse in den einklassigen Dorfschulen damaliger Zeit waren sehr beengt, eine kleine Schulstube von manchmal nur 10-15 Quadratmetern mußte in der Regel für die Kinder aller acht Jahrgänge genügen. So auch in Lohnde, wo zu Johanns Zeit etwa 30 Kinder unterrichtet wurden. Der Neubau des Schulhauses 1780 änderte daran nichts.
Wie das Schulhaus, in dem Johann Egestorff unterrichtet wurde, genau ausgesehen hat, wissen wir nicht, doch können wir davon ausgehen, daß sich die Dorfschulhäuser jener Zeit weitgehend ähnelten (s.u. Foto des zur gleichen Zeit erbauten Döteberger Schulhauses). Sie waren durchweg Wohn- und Wirtschaftsgebäude für den Lehrer und seine Familie, in denen auch der Unterricht stattfand.
Aus Lathwehren liegt uns aus dem 18. Jahrhundert eine recht genaue Beschreibung des dortigen Schulhauses vor. Es hat eine Größe von 9,60 x 7 m, außen angebaut sind zwei kleine Ställe. Innen gibt es eine Diele (der größte Raum des Hauses) mit gemauertem Herd, links neben der Diele den Kuhstall; außerdem eine "Stube mit zwei Fenstern", eine Schlaf- und eine Speisekammer. Über Diele und Stube erstreckt sich ein Futterboden.
Einer der Lathwehrener Schulmeister notierte später in der Schulchronik, daß die einzige (Wohn-)Stube des Hauses zugleich Unterrichtsraum war: "Hierselbst befand sich ein Schulzimmer, das dem Schulmeister zugleich als Stube diente. Während des Unterrichts schnurrte munter die Spindel am Spinnrad der Hausfrau." (Heinrich Bremer, Die einklassige Dorfschule in Lathwehren, Seelzer Geschichtsblätter Nr. 3, 1989) - Die gleiche räumliche Enge ist 1783 für das Almhorster Schulhaus bezeugt, und so oder ähnlich dürfen wir uns die Schule, in welche Johann Egestorff im Nachbardorf Lohnde ging, auch vorstellen.
Altes Schulhaus Döteberg, 1786 erbaut. So etwa dürfen wir uns auch das Lohnder Schulhaus vorstellen, in dem Johann Egestorff um 1780 unterrichtet wurde. (Foto 1950er Jahre, Stadtarchiv Seelze)
Lehrer Hans Heinrich Burgtorff, seit 1760 Nachfolger seines Vaters als Lohnder Schulmeister, war bei Johann Egestorffs Einschulung 63 Jahre alt. Er unterrichtete noch bis 1784 (nicht, wie noch sein Vater, bis zum Tod im 74. Lebensjahr). Johann wird also noch den Nachfolger Johann Diederich Plumhoff erlebt haben, von dem wir wissen, als daß er 1801 wegen Trunksucht entlassen wurde. (Danach lebte er in Lohnde bis zu seinem Tod 1814 als Dorfarmer von Almosen, gelegentlichen Schreibarbeiten und Tagelöhnerei.)
Unterrichtsinhalte in der Enge der Schulstuben, in denen oft genug die Hälfte der Kinder stehen mußte, waren an erster Stelle Religion (Luthers Katechismus), dann Lesen, Schreiben, Kopf- und Tafelrechnen. Aber das ist eine Idealvorstellung; die Praxis und die Lernerfolge sahen in jeder Dorfschule anders und oft recht kläglich aus.
Als Kind armer Leute mußte Johann natürlich von klein auf durch Arbeit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Mit neun oder zehn Jahren wurden Kinder wie er zumeist auf einem größeren Bauernhof als Hütejunge oder Dienstjunge gegeben. Von Johann wissen wir, daß er auf dem Lohnder Halbmeierhof Nr. 5 (Bauermeister) als Dienstjunge arbeitete. Es war normal, daß die Schule nicht so wichtig genommen und oft unregelmäßig besucht wurde, vor allem in der Erntezeit.
Ergebnis war, daß Johann nach der Schulentlassung (das müßte 1787 gewesen sein, nachdem die Schulpflicht 1735 bis zum 14. Lebensjahr verlängert war) einigermaßen lesen, aber kaum seinen Namen schreiben konnte. Wie sich später herausstellen sollte, konnte er aber auf jeden Fall gut im Kopf rechnen und hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis.
Lehre als Böttcher
Als zweitältester Sohn würde Johann nicht die väterliche Brinksitzerstelle erben. Statt dessen gaben ihn die Eltern bei dem Böttchermeister Kniep in Hannover in die Lehre. Eine ordentliche handwerkliche Ausbildung, die Lehrgeld kostete, war für das Kind armer Leute keine Selbstverständlichkeit. Man hätte Johann auch als Knecht in den Dienst auf einem größeren Hof schicken können. Aber er muß wohl genügend Anlaß zu der Hoffnung gegeben haben, daß das Lehrgeld sich auszahlen würde.
Nach wieviel Jahren Johann die Gesellenprüfung ablegen konnte, wissen wir nicht genau, sicherlich nicht vor 1791. Auch als Geselle arbeitete er weiter für Meister Kniep. Er beliefert u.a. die Kalkbrennerei Stukenbrock am Lindener Berg mit Fässern für den Kalktransport, die er vor Ort verschließen mußte, und lernte so den Betrieb dort recht gut kennen.
Das Dorf Linden nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781.
Das Dorf Linden um 1800
Betrachten wir das Kartenbild etwas genauer. Der "Adelige Hof" gehört noch dem Grafen von Platen (ab 1816 Carl von Alten) und nimmt etwa ebensoviel Raum ein wie der Rest des Dorfes, das im Norden vom Königlichen Küchengarten begrenzt wird. Das Weghaus im Süden markiert den heutigen Deisterplatz, von wo die Deisterstraße nordöstlich über den heutigen Schwarzen Bären zur Ihmebrücke nach Hannover führt. (Von der Ihmebrücke zum Küchengarten verläuft die Blumenauer Straße, wo Egestorff ab 1812/13 wohnte und ab 1823 eine Zuckersiederei betrieb.)
Auf dem Lindener Berg ist die Windmühle eingezeichnet und am Osthang des Berges, südlich beginnend an der Bornumer Straße, erkennnt man langgestreckte Kalksteinbrüche bis an die Mauer des Gräflich Platenschen Parks (heute etwa an der Wachsbleiche). Weiter nördlich, jenseits der heutigen Straße Am Lindener Berge, scheinen ältere Steinbrüche zu liegen, in denen einige Gebäude verzeichnet sind. Zwei Feldwege am Nordwesthang des Berges entsprechen etwa dem Verlauf der heutigen Badenstedter und Davenstedter Straße.
Kalksteinbrüche und Kalköfen hatte es am Lindener Berg schon seit dem Mittelalter gegeben. Aus Kalkbruchsteinen war 1392 der Bergfried als Wachturm erbaut worden, der später zu einer Windmühle umfunktioniert wurde und heute als Ausflugsgaststätte betrieben wird.
Die Stadt Hannover war Eigentümerin einiger Steinbrüche und nutzte Bruchsteine u.a. für die Stadtmauer ab dem 14. Jahrhundert. Mitte des 18. Jahrhunderts gab sie die Steinbrüche als unwirtschaftlich auf, doch die private Nutzung ging weiter.
Doch abgesehen von der gewerblichen Nutzung der Kalksteinvorkommen am Lindener Berg war Linden um 1800 ein beschaulicher, noch weitgehend dörflich-landwirtschaftlich geprägter Garten- und Villenvorort von Hannover mit rund 200 Wohnhäusern und 1.300 Einwohnern.
Die Windmühle auf dem Lindener Berg, 1392 als Wachturm aus Kalkbruchsteinen errichtet, heute Ausflugsgaststätte. Im Hintergrund der Wasserhochbehälter aus rotem Backstein, der 1878 dort errichtet wurde, wo vorher seit 1824/25 Johann Egestorffs Berggasthaus stand. (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze)
Ein Rest der ehemals Gräflich Platenschen Parkmauer, erbaut größtenteils aus Kalkbruchstein vom Lindener Berg; rechts der Weg Wachsbleiche, im Hintergrund der Deisterplatz (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze)
Familiengründung in Hannover
1796 ist Johann Egestorffs Vater gestorben, worauf sein Bruder Hinrich Christoffer den bescheidenen väterlichen Hof in Lohnde übernahm. Johann wohnte sicherlich, wie damals üblich, in einer Gesellenkammer bei seinem Meister in Hannover, pflegte aber regen Kontakt zu seiner Lohnder Familie. Seine späteren Aktivitäten sollten zeigen, daß ihm familiäre Bindungen überaus wichtig waren; denn fast alle wichtigen Funktionen in seinen Unternehmen besetzte er mit Familienmitgliedern.
In Lohnde lernte er auch seine Braut kennen. Sie hieß Anna Dorothea und war die Tochter des Reitknechts und Fohlenwärters Adam Eckardt (auch Eccard). Bei Lohnde teilte sich einst die Leine in zwei Arme und umschloss eine Insel, die vom Kurfürstlichen Marstall in Hannover zur Fohlenaufzucht genutzt und "Füllenwerder" genannt wurde. Adam Eckardt war als Bediensteter des Marstalls 1782 nach Lohnde beordert worden.
1801 heirateten der Böttchergeselle Johann Egestorff und Anna Dorothea Eckardt, und im gleichen Jahr soll Egestorff Bürger der Stadt Hannover geworden sein. Ob er weiterhin als Böttcher arbeitete oder schon andere Aktivitäten entfaltete, ist unsicher. Nach einer Sekundärquelle (Kirchenbuchkartei, Stadtarchiv Seelze) wird er schon 1801 als "Handelsmann" bezeichnet. 1802 wird Sohn Georg geboren, 1805 die Tochter Eleonore.
Lohnde nach der Kurhannoverschen Landesaufnahme 1781; unten die Brinksitzerstelle Nr. 24, aus der Johann Egestorff stammt, oben der Füllenwerder.
Der unauffällige Beginn einer neuen Epoche
Auf jeden Fall hatte Egestorff in diesen Jahren weiterhin enge Verbindungen zur Kalkbrennerei Stukenbrock am Lindener Berg. Stukenbrock wollte um 1800 in die Steinkohleförderung am Deister einsteigen, um damit u.a. günstigen Brennstoff für die Kalkbrennerei zu gewinnen. Er pachtete ein Bergwerk am Bröhn bei Wennigsen - und er übernahm oder verspekulierte sich und verlor sein Vermögen. 1803 kam die Kalkbrennerei am Lindener Berge zur Versteigerung. Johann Egestorff bot Stukenbrocks Gläubigern an, den Betrieb weiterzuführen, und erhielt einen Pachtvertrag.
Mit diesem Schritt begann ein neuer Abschnitt in Egestorffs Leben, in dem er bald den volkstümlichen Namen "der Kalkjohann" bekommen sollte. Und zugleich begann eine neue Epoche für die Gemeinde Linden, welche aus heutiger Sicht als Anfangsphase der Industrialisierung zu sehen ist. Käthe Mittelhäußer würdigt den Auftritt Johann Egestorffs in ihrer Darstellung der Industriegeschichte des Landkreises Hannover und des vormaligen Landkreises Linden (1963): Egestorff "... brachte einen neuen Zug in die Wirtschaftsentwicklung des Kreisgebiets. Zum erstenmal trat eine Unternehmerpersönlichkeit auf den Plan, die in relativ schneller Folge eine Menge von gewerblichen Betrieben errichtete, die sich zu einem guten Teil gegenseitig ergänzten - z.B. Kohlebeschaffung für die Kalkbrennerei, Kalkwassererzeugung für die Zuckersiederei, eigene Handels- und Verkehrsunternehmen zum Absatz der Industrieprodukte. Gewerbliche Betriebe in gegenseitiger Verflechtung, getragen von der Persönlichkeit des Unternehmers - das war in dem agrarischen Kreisgebiet neu."
Der "Kalkjohann"
Egestorff hatte keine kaufmännische Ausbildung, wirtschaftete aber offenbar sehr geschickt. Was er nicht in der Schule gelernt hatte, machte er durch sein ausgezeichnetes Gedächtnis und sein gutes Gespür für lohnende Geschäfte wett. Und er lebte selbst so bescheiden und anspruchslos weiter, wie er es seit seiner Kindheit in Lohnde gewohnt war. Er zog 1803 in das kleine Kalkbrennerhaus am Lindener Berg (1969 für den Bau der Integrierten Gesamtschule Linden abgebrochen), wo er mit seiner Familie bis 1812 wohnte.
Neben dem Steinbruch und der Kalkbrennerei betrieb Egestorff einen Handel mit Nutzholz. Die Kalköfen betrieb er mit Abfallholz, wertvolleres Holz wurde verkauft. Dann kam er auf die Idee, Kalk über Leine, Aller und Weser nach Bremen zu verschiffen, wo gute Preise zu erzielen waren, weil es dort kaum Kalksteinvorkommen gab. An der Ihme in Linden (nahe dem heutigen Schwarzen Bären) richtete er eine Anlegestelle mit Stapelplatz ein. Zwanzig Flößer und Schiffer fuhren für Egestorff wöchentlich zwischen Linden und Bremen hin und her. 1805/06 wird Egestorffs Bruder Jasper für ihn in Bremen tätig geworden sein, der bis dahin in Lohnde als Häusling und Leineweber gelebt hatte. Nach Philipps (s. Literatur am Schluß des Textes) hat er den Bürgereid in Bremen im Mai 1806 abgelegt.
Die große Bremer Nachfrage ermutigte Egestorff, neue Kalksteinbrüche am Tönniesberg anzulegen, und schon 1805 pachtete er außerdem zwei Kalkbrennereien in Ronnenberg. Bruchstein der nicht zum Brennen taugte, wurde als Baumaterial für Fundamente und Wegebau verkauft (rund 400 Tonnen im Jahr). Egestorff beschäftigte allein zehn Arbeitskräfte mit dem Transport des Bruchmaterials aus seinen Steinbrüchen.
Das Kalkbrennerhaus am Lindener Berg, in dem Johann Egestorff mit seiner Familie 1803-1812 gelebt hat. 1969 mußte es der IGS Linden weichen. Im Hintergrund die Martinskirche. (Foto nach einer Ansichtskarte o.J.)
Deisterkohle als neues Wagnis
1807 wurde der Pachtvertrag für den Betrieb am Lindener Berg erneuert, und im gleichen Jahr ging der "Kalkjohann" ein neues Wagnis ein. Er pachtete jenes Kohlebergwerk im Deister, mit dem sein Vorgänger Stukenbrock gescheitert war. Auch Egestorff ging es um günstigen Brennstoff für seine Kalköfen; denn der Raubbau am Wald in der Umgebung wurde spürbar, Holz wurde teurer. Doch auch der Kohlebergbau verursachte erst einmal Kosten, das Bergwerk mußte recht aufwendig instandgesetzt werden. Danach arbeiteten sechzehn Bergleute in dem Schacht, die Transportfuhren übernahmen vierzig Bauern; schlechte, unbefestigte Wege führten zu hohen Transportkosten. Kohle, die nicht in den Kalköfen am Lindener und Tönniesberg verbrannt wurde, verkaufte Egestorff, z.B. an die Ziegelei in Wülfel.
1812 pachtete Egestorff ein weiteres Bergwerk bei Wennigsen (Hülsenbrink), und der Oberbergmeister Schulz schreibt zu dieser Zeit in einem Bericht an die Regierung: "Der Egestorff ist ein tätiger und spekulierender Mann, empfiehlt persönlich die Steinkohlenfeuerung und richtet denen, welche selbige bei sich einführen wollen, die Feuerstellen dazu vor." Im gleichen Jahr zog er mit seiner Familie in ein "ansehnliches Haus" (Philipps) in der Blumenauer Straße. Alles, was der Kleinbauernsohn aus Lohnde anfaßte, schien ihm zu glücken. (Doch war er selber wohl der letzte, der sich darauf verlassen hätte.)
Schwere Zeiten
Nachdem Egestorff das zweite Bergwerk gepachtet hatte, geriet er unerwartet unter erheblichen wirtschaftlichen Druck durch einen Wettbewerber, der seine Preise drastisch unterbot. Der Freiherr Wilhelm von Knigge in Bredenbeck (heute Gemeinde Wennigsen) hatte 1804 mit der Kohleförderung auf seinem ausgedehnten Grundbesitz im Deister begonnen und 1811 einen neuen ergiebigen Stollen anlegen lassen. Weil er, anders als Egestorff, keine Pacht zu zahlen hatten, waren seine Produktionskosten niedriger, und zudem war die Qualität seiner Kohle besser. Auch mit Kalk begannen die Knigges zu handeln, den sie ebenfalls auf eigenem Grund produzierten. Die Tatsache, daß sie 1812 eine Handelsniederlassung in Linden direkt neben Egestorffs Wohnhaus an der Blumenauer Straße errichteten, legt den Verdacht nahe, daß Egestorff als unliebsamer Konkurrent ruiniert werden sollte. Knigge soll (nach Philipps) sogar Kohle verschenkt haben.
Egestorff mußte seine Preise senken und verhandelte mit der Regierung um Pachtnachlaß. Doch damit war seine Misere nicht abzuwenden; denn es war abzusehen, daß Knigge den längeren Atem haben würde. Aber Egestorff war nicht nur ein gewiefter Geschäftsmann, sondern offenbar auch ein guter Diplomat. Es gelang ihm im Frühjahr 1813, mit dem Freiherrn von Knigge einen Vertrag zum beiderseitigen Vorteil auszuhandeln. Die Vertragspartner grenzten ihre Vertriebsgebiete ab, Egestorff blieb der Handel mit Bremen und in Hannover; Knigge verkaufte ihm seine Handelsniederlassung in Linden mit allen Lagerbeständen gegen Barzahlung. Die Kohleförderung in Egestorffs zweitem Bergwerk, das er gerade gepachtet hatte, wurde weit unter der tatsächlichen Kapazität begrenzt, und Egestorff verpflichtete sich zur Abnahme bestimmter Mengen aus Kniggescher Förderung. Außerdem übernahm er den Handel mit weiteren Kniggeschen Produkten: Glas aus Steinkrug, Bau- und Nutzholz aus dem Deister und anderes mehr.
Doch Johann Egestorff konnte nur kurz durchatmen, dann kam neues Ungemach, das seinen Ruin bedeuten konnte. Mit dem Bündnis Preußens mit Rußland und dem Aufruf Friedrich Wilhelms III. "An mein Volk" im März 1813 herrschten plötzlich Kriegszeiten; die Freiheitskriege gegen die Herrschaft Napoleons begannen. Es wurde kaum noch gebaut, Kalk wurde nicht mehr nachgefragt, und die Kohlen zum Kalkbrennen waren totes Kapital. Gleichzeitig mußte Egestorff hohe Pachtkosten aufbringen. - Betrachtet man die Ereignisse dieser Jahre, mag es gar nicht so sehr verwundern und nicht nur Koketterie gewesen sein, wenn Egestorff noch als Sechzigjähriger gelegentlich davon sprach, daß er froh sei, wenn er auf seine alten Tage nicht noch im Armenhaus lande. Auf die Frage, wie es ihm gehe, soll er gewöhnlich geantwortet haben: "Ach Gott, ek glöbe, ek möt mit miner Fru nochmal Hede spinnen." (Philipps S. 32)
Nach der Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813 rückte der Kriegsschwerpunkt in Richtung Frankreich, und vielleicht war 1814 im Hannöverschen das Schlimmste schon überstanden. Jedenfalls gelang es Johann Egestorff - wir wissen nicht genau, wie - auch diese Krise zu bewältigen oder zu überstehen, und nach dem Krieg blühte sein Geschäft schnell wieder auf.
Da traf ihn ein weiterer Schicksalsschlag, seine Frau starb im April 1816 an der Schwindsucht. Der dreizehnjährige Sohn Georg trug seinen neuen Konfirmationsanzug erstmals zur Beerdigung der Mutter. Egestorff war 44 Jahre alt, als er im November 1816 Dorothea Margarete Gaffky, die Tochter eines hannoverschen Tischlermeisters, heiratete, nicht zuletzt sicherlich, weil seine minderjährigen Kinder eine Mutter brauchten.
Wirtschaftlicher Aufschwung und ein neuer Geschäftszweig
In Hannover und Linden wurde nach dem Krieg wieder viel gebaut. Nach dem Wiener Kongreß wurde Hannover Hauptstadt des neuen Königreichs, Georg Ludwig Friedrich Laves wurde zum Hofbaurat ernannt. Um die steigende Nachfrage befriedigen zu können, soll der "Kalkjohann" 1816 bis zu 32 Kalköfen betrieben haben.
Auch die Kalkverschiffung nach Bremen florierte wieder. 1815 eröffnete Egestorff dort unter Leitung seines Bruders Jasper eine Zweigniederlassung, sicherlich auch, um die dortigen Geschäfte weiter auszudehnen.
Ziegelei am Lindener Berg
Die Bauholzpreise (es wurde noch viel in Fachwerk gebaut) stiegen weiter, und damit wurde das Bauen mit gebrannten Tonziegeln immer attraktiver. Johann Egestorff witterte hier ein neues lukratives Geschäft und plante den Bau einer Ziegelei am Lindener Berg, nahe der heutigen Bornumer Straße. Doch bevor er damit beginnen konnte, brauchte er das Einverständnis der Gemeinde Linden, was er - gegen entsprechende Leistungen seinerseits - schnell bekam. Schwieriger wurde es, sich mit dem Oberhauptmann Carl von Alten zu einigen, seit 1816 Lindener Guts- und Schloßherr mit ausgedehnten Weide- und Zehntrechten auf dem Lindener Berg. Wie schon im Konflikt mit dem Freiherrn von Knigge erwies sich der Kleinbauernsohn aus Lohnde als zäher und geschickter Verhandler, und schließlich kam ein Vertrag zustande, der es ihm ermöglichte, 1819 seine Ziegelei zu errichten. Fortan handelte Egestorff mit den wichtigsten damals gebräuchlichen Baustoffen: Kalk, Bruchstein, Holz, Tonziegel.
Wegebau mit nur mäßigem Erfolg
Schon 1815 hatte Egestorff wegen der extrem hohen Transportkosten für seine Kohle aus dem Deister die Idee gehabt, eine Wegstrecke von Wennigsen bis zur Hamelner Chaussee (heutige B 217) ordentlich zu befestigen. Besonders bei nassem Wetter waren die Wege grundlos, und vor die schweren Kohlenfuhren mußten acht Pferde gespannt werden. Der hohe Fuhrlohn drohte das Kohlegeschäft unrentabel zu machen, besonders nach dem Vertrag mit Knigge, der Egestorffs Verdienstmöglichkeiten aus dem Bergbau ohnehin einschränkte.
Er verhandelte mit der Königlichen Regierung, die sich schließlich einverstanden erklärte, sich an den Materialkosten für die Wegbefestigung zu beteiligen, jedoch die Bedingung stellte, daß der vereinbarte Wegebau 1816 abgeschlossen sein sollte. Egestorff begann mit gewohntem Elan, doch mit diesem Projekt übernahm sich der immer rsikobereite "Kalkjohann". Er konnte bei sehr ungünstigen Witterungsbedingungen in jenem Jahr und geringer Bereitschaft der Bauern, Steinfuhren für ihn zu übernehmen, die Logistik nicht gewährleisten und den Vertrag mit der Regierung nicht einhalten; er hätte wohl ein weiteres Jahr gebraucht um den Weg fertigzustellen. Fachleute bescheinigten ihm mangelnde Fachkenntnis ("... hat viel getan und große Verluste gehabt, er versteht aber den Wegebau nicht." - Philipps S. 22); er wurde aus dem Vertrag entlassen und verlor natürlich einiges Geld.
Aber die Sache war begonnen und wurde nun - übrigens ebenfalls unter erheblichen Schwierigkeiten und mit Verzögerungen - unter der Leitung eines Experten fortgesetzt. So bekam Egestorff doch noch seinen befestigten Fuhrweg und konnte fortan bei den Transportkosten sparen.
Seine zeitweiligen Verluste aus dem Wegebau wurden wohl vom Gewinn aus dem florierenden Kalkhandel wettgemacht. Besonders der Handel mit Bremen brachte gutes Geld ein. Das Umsatzvolumen allein des Bremenhandels lag zu dieser Zeit bei 40.000 Talern im Jahr, fast 70 Arbeitskräfte beschäftigte Egestorff in diesem Geschäftszweig.
Ehrung als Hofkalklieferant
Fast zwanzig Jahre, nachdem Johann Egestorff als mittelloser Böttchergeselle den Stukenbrockschen Steinbruch und Kalkofen am Lindener Berg auf Kredit übernommen hatte, wurde ihm 1822 der Titel "Hofkalklieferant" verliehen. Es erscheint zweifelhaft, ob der "Kalkjohann" allzuviel gab auf solche Dekorationen, aber ein wenig stolz wird er schon gewesen sein. Im Handel und Gewerbe waren solche Titel damals sehr begehrt und mit gesellschaftlichem Ansehen verbunden.
Was Egestorff gefallen haben dürfte, ist die Einschätzung seiner Leistung, wie sie sich in einem Bericht des Gerichts Linden an die Königliche Landdrostei ausdrückt. Dort heißt es u.a.: "Wenn man, wie recht und billig, das Verdienst eines Mannes vom reellen Nutzen abhängig macht, welchen er dem Staate leistet, so gebührt dem Hofkalklieferanten Egestorff einer der vorzüglichsten Plätze; seine rege Tätigkeit gibt täglich über 100 Menschen Nahrung. Ist freilich nicht bloß Patriotismus, sondern auch Liebe zum Gewinn die Triebfeder der Handlungen, so darf dennoch nicht unbemerkt gelassen werden, daß Egestorff, wenn der Beitrag zu einer Unterstützung gefordert wird, wenn und wo er seinen Mitmenschen Dienste zu leisten Gelegenheit hat, derselbe stets bereit und willig ist." (Zit. nach Philipps, S. 23, der eine Archivquelle angibt.) Anlaß für diesen Bericht war der Vorschlag, Egestorff eine Verdienstmedaille zu verleihen, die er dann auch erhielt.
Einstieg ins Zuckergeschäft
Unterdessen verfolgte der Fünfzigjährige eine neue Idee, auf die ihn vielleicht sein in Bremen ansässiger Bruder Jasper gebracht hatte. Dort gab es viele Zuckersiedereien, in denen das aus Kuba angelandete Zuckerrohr - u.a. unter Einsatz von Kalkwasser - verarbeitet wurde. Zucker war ein sehr kostbares Gut vor dem Aufkommen der Zuckerrübe, deren Anbau in unserer Gegend erst nach den großen Agrarreformen Mitte des 19. Jahrhunderts um sich griff. Und da der Transport über lange Strecken Waren damals erheblich verteuerte, verfolgte Egestorff den Plan, seine Frachtkähne mit Zuckerrohr zu beladen, wenn der Kalk in Bremen entladen war, und den Rohstoff in Linden selber zu verarbeiten - Kalkwasser für die Siederei konnte er natürlich leicht und kostengünstig herstellen.
1823 konnte die Zuckerfabrik an der Blumenauer Straße auf einem Grundstück neben Egestorffs Wohnhaus in einem schon vorhandenen Gebäude (40 x 15 m) eingerichtet werden. Es war die erste in Calenberg. Egestorff hatte über 16.000 Taler investiert und für den Bezirk der Landdrostei Hannover ein Monopol für drei Jahre zugesichert bekommen (später bis 1833 verlängert). Bis zu 350 Zentner Rohrzucker hätten täglich verarbeitet werden können. Der Stolz auf seine Zuckerfabrik spricht auch aus seinem persönlichen Bericht über hohen Besuch vom September 1824: "Die Fabrik ist bereits im vollen Betrieb, und ich habe das hohe Glück genossen, daß Seine Kgl. Hoheit unser allergnädigster Herr Herzog von Cambridge und mehrere Herren Staats- und Kabinettsminister und Exellenzen meine Anlage höchst und hoch ihrer huldvollen Aufmerksamkeit an Ort und Stelle zu würdigen geruhten." (Zit. nach Phiipps S. 25)
Doch der Zuckerabsatz blieb hinter den Erwartungen zurück. Ein Meister und zehn Facharbeiter verarbeiteten schließlich rund 4.000 Zentner Rohrzucker jährlich; die Qualität der Ware wurde zwar allgemein gelobt, der Vertrieb beschränkte sich aber vor allem auf Hannover. Die Bremer Zuckersieder fanden offenbar Wege, ihre Absatzgebiete gegen den neuen Wettbewerber zu sichern. Trotzdem hielt Egestorff an dem Betrieb fest, sicherlich zur Freude vieler Töpfer, Korbflechter und Böttcher, die von ihm Aufträge bekamen. - 1855 ist diese erste Calenberger Zuckerfabrik abgebrannt und nicht wieder aufgebaut worden. Inzwischen gab es in Norddeutschland Fabriken, die Zucker aus heimischen Rüben gewannen; als erste im Calenberger Land ging 1857 die Gehrdener Zuckerfabrik in Betrieb.
Das Lindener Berggasthaus
Etwa gleichzeitig mit dem Einstieg ins Zuckergeschäft war Johann Egestorff damit beschäftigt, den Bau eines Ausflugsgasthauses auf dem Lindener Berg in die Wege zu leiten - ein Unternehmen, schreibt Otto Philipps, "welches, weniger als andere auf Erwerb abzielend, ihm in ganz besonderem Maße die Liebe seiner Mitbürger gewinnen sollte ." (S. 25) Er kaufte einen Bauernhof mit umfangreichen Ländereien und tauschte so lange Grundstücke, bis ihm der ganze Lindener Berg gehörte, bis an die Parkmauer des Herrn von Alten nahe dem heutigen Deisterplatz.
Die Lindener Windmühle, deren Pächter seit längerem nebenbei einen halbwegs illegalen, aber geduldeten Ausschank betrieb, wollte Egestorff von der Regierung pachten, um eventuelle Konkurrenz für sein Unternehmen von vornherein zu unterbinden. Zu seinem Pachtgesuch berichtete das Amt Linden 1823 außerordentlich wohlwollend: "Keinem der anderen sich zu dieser Mühle hindrängenden Liebhaber stehen solche Mittel zu Gebote um eine Verschönerung des Berges und zweckmäßige Einrichtung der Anlage wie dem Kalkhändler Egestorff. Keiner wird mit der Ausdauer das Werk anfangen und nachher die Zufriedenheit aller sich zu erhalten streben wie er. Kein anderer wird soviel daran wenden, den Ort zur schönsten Umgebung der Residenzstadt Hannover zu machen wie er." (Zit. nach Philipps S. 26)
Und genau so geschah es. Mit den Bauplänen beauftragte Egestorff den Hofbaurat Laves, und obwohl der Gutsherr von Alten, Egestorffs Verhandlungsbemühungen nicht zugänglich, mit Einsprüchen versuchte, das Gasthaus zu verhindern, wurde es 1824 genehmigt und gebaut. Daß die Baukosten wesentlich höher ausfielen als geplant, störte Egestorff offenbar nicht sonderlich, hier kam es ihm nicht auf Rentabilität an, hier ging es um sein Renommee. Die Einschätzungen des Lindener Amtmannes waren durchaus zutreffend gewesen. - 1876/78 mußte das vom "Kalkjohann" so geliebte Gasthaus dem heute östlich der ehemaligen Windmühle stehenden Wasserbehälter weichen.
Das von Laves für Egestorff erbaute Berggasthaus nach einer Sepiazeichnung von Karl Hapke in Anlehnung an eine Lithographie von Wilhelm Kretschmer 1858. (Abbildung in: Helmut Zimmermann, Karl Hapke - Der Maler Alt-Hannovers, Hameln 1990) 1876/78 mußte es einem großen Wasserhochbehälter weichen.
Eine neue Ziegelei in Empelde
Vor dem Hintergrund der bisher mit dem Gutsbesitzer und Schloßherrn von Alten ausgetragenen Konflikte glaubte Johann Egestorff wohl nicht, daß er sich mit diesem nach Ablauf des Vertrages über die Duldung der Ziegelei am Lindener Berg (1819-1832) auf eine Vertragsverlängerung würde einigen können. So ging er frühzeitig auf die Suche nach einem neuen Standort und wurde in Empelde fündig. Dort wurde 1831 die Egestorffsche Ziegelei als erster Industriebetrieb eröffnet.
Johann Egestorff (1772-1834), Sohn eines Lohnder Leinefischers, wie er sich mit knapp sechzig Jahren von Burchard Giesewell malen ließ.
Die letzten Jahre
Dies sollte, in seinem 60. Lebensjahr, die letzte Neugründung des Kleinbauernsohn aus Lohnde sein. Er kümmerte sich, mißtrauisch wie er wohl gewesen ist, immer noch selber um seine Betriebe, bestieg jeden Morgen sein Reitpferd und begann seine Inspektionen. Um die kaufmännische Seite des Familienunternehmens kümmerte sich schon seit 1818 Sohn Georg, der offenbar viel von den Talenten des Vaters geerbt hatte. Denn seine dürftige Volksschulbildung und eine angefangene Böttcherlehre qualifizierten ihn nicht unbedingt dafür, mit 16 Jahren in die Buchhaltung eines für damalige Verhältnisse großen Betriebskonglomerats einzusteigen. Doch als sein Vater 1834 die Geschäfte endgültig aus der Hand geben mußte, war der Sohn längst in der Lage, in dessen Fußstapfen zu treten.
Rund dreißig Jahre waren vergangen, seit der Böttchergeselle den Kalksteinbruch und Kalkofen am Lindener Berg gepachtet hatte. Was er in dieser Zeit geschaffen hatte, war für Linden und Hannover zu jener Zeit beispiellos. Herzog Adolf Friedrich von Cambridge, der hiesige Stellvertreter des in London residierenden Königs, war mit Egestorff gut bekannt und wollte ihm gern einen Orden verleihen - für sein Lebenswerk, würden wir heute wohl sagen. Der alte "Kalkjohann" soll dankend abgelehnt und erwidert haben, wenn ihm der Herzog etwas Gutes tun wolle, möge er ihm Abgabefreiheit für seine Frachtkähne auf der Leine gewähren. Und dieser Wunsch wurde ihm erfüllt. (Philipps S. 32)
Johann Egestorff litt seit längerem an der Wassersucht, als er am 29. März 1834 im Alter von 61 Jahren einen Schlaganfall erlitt und kurz darauf, am Ostersonntag, den 30. März 1834, starb. Zu dem von ihm aufgebauten Unternehmen gehörten drei Kalksteinbrüche (Lindener Berg, Tönniesberg und Ronnenberg) mit insgesamt 24 Brennöfen, die Ziegeleien in Linden und Empelde, zwei Steinkohlenbergwerke im Deister, ein florierender Handel mit Bauholz und Kalk, eine Zuckerfabrik und das Berggasthaus nebst Mühle auf dem Lindener Berg. Nächst dem Herrn von Alten auf Schloß Linden war er der zweitgrößte Grundbesitzer der Gemeinde. "Linden hatte zu jener Zeit 2.500 Einwohner [was etwa eine Verdoppelung gegenüber der Jahrhundertwende war], von denen 1.000 durch Johann Egestorff Nahrung fanden. 400 Menschen beschäftigte er in seinen Betrieben." (Philipps S. 32, nach Lindener Zeitung vom 8. 2. 1902)
Was blieb
Für sein Begräbnis auf dem Kirchhof der Lindener Martinskirche hatte sich Egestorff das Lied Nr. 744 des hannoverschen Gesangbuches gewünscht, und es klingt ein wenig, als sei da von dem Verstorbenen selbst die Rede: "Was ist mein ganzes Wesen / von meiner Jugend an / als Müh' und Not gewesen? / Solang ich denken kann / hab' ich so manche Morgen / und manche liebe Nacht / mit Kummer und mit Sorgen / des Herzens hingebracht."
Im Kirchenbuch schreibt der Pfarrer in seinem Sterbeeintrag: "Ein merkwürdiger Mann, der als Böttchergeselle mit den kleinsten Mitteln anfing und durch seine unausgesetzte Tätigkeit, Eifer und Rechtschaffenheit sich emporschwang und durch Arbeit ein Wohltäter von Tausenden ward." (Zit. nach Philipps, S. 33)
Johann Egestorffs Grabmal und das seines Sohnes Georg mit dessen Familie sind heute als einzige Steine auf dem einstigen Kirchhof der Martinskirche erhalten. Der Stein des Vaters ist stellenweise stark verwittert und beschädigt.
Grabmal für Johann Egestorff auf dem früheren Lindener Kirchhof, stark verwitterte Inschrift Ostseite: Dem Andenken / des geliebten Gatten / und Vaters / J. Egestorff / geb. a. 22. Octbr 1772 / gest. am 30. März 1834 / gewidmet / von seinen dankbaren / Hinterbliebenen. (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze)
Grabmal für Johann Egestorff auf dem früheren Lindener Kirchhof, stark verwitterte Inschrift Ostseite: Dem Andenken / des geliebten Gatten / und Vaters / J. Egestorff / geb. a. 22. Octbr 1772 / gest. am 30. März 1834 / gewidmet / von seinen dankbaren / Hinterbliebenen. (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze) Grabmal für Johann Egestorff auf dem früheren Lindener Kirchhof, Südseite (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze); oben ein Bienenkorb mit fliegenden Bienen, unten eine beschädigte, nicht mehr lückenlos lesbare Inschrift.
Die Inschrift auf der Südseite des Grabmals
Der hat die Bürgerkrone sich errungen
Der treu gewuchert der Lebenszeit
Sich aus der großen Nacht empor geschwungen
Und auch der Mitwelt Kraft und Fleiß geweiht
Der fremdes Glück als eigenes betrachtet
Verirrte auf den rechten Pfad geführt
Von Freunden wie von Fremden gleich geachtet
So als ein Muster seinen Kreis geziert.
Ein solcher war's, den wir hier weich gebettet
Der selber sich erschuf den Ehrenplatz
Aus Zeitensturm hat er sein Schiff gerettet
Und mehr geborgen als den Erdenschatz
Als Christ und Mann kann er die Antwort wagen
Wenn ihn der Herr nach seinen Thaten frägt
Drum dürfen wir, wenn auch in Thränen, sagen
Wir haben unsern Stolz in's Grab gelegt.
(Quelle: Historisches Museum Hannover)
1935 wurde - im Stil dieser Zeit - ein Denkmal für Johann Egestorff am Osthang des Lindener Berges errichtet, wo einst seine Steinbrüche lagen. Es steht etwa halbwegs auf einer Achse, die den Wasserhochbehälter (Standort des einstigen Berggasthauses) mit dem Hanomag-Gelände (einst Lindener Eisengießerei und Maschinenfabrik des Sohnes Georg) verbindet.
Denkmal für Johann Egestorff am Lindener Berg, westlich der Straße Am Spielfelde, errichtet von G. Herting 1935; Ansicht von Nordwesten (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze) Westseite: Portrait-Medaillon (Gesichtszüge offenbar dem Gemälde von Burchard Giesewell um 1830 entlehnt) Inschrift darunter: Johann Egestorff / Gründer der Lindener Industrie / 1772 - 1834 Nordseite: Drei Arbeiterfiguren im Stil der Nazizeit, darunter die Worte "Erze - Technik - Kalk" Denkmal für Johann Egestorff am Lindener Berg, westlich der Straße Am Spielfelde, errichtet von G. Herting 1935; Ansicht von Südosten (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze) Ostseite: Bienenkorb-Emblem (vom Grabmal entlehnt) mit der ergänzten Umschrift "Einigkeit macht stark"; darunter die Inschrift "Arbeit bringt Segen, Freude, Ehre, Brot"; im unteren Feld eine Biene; am Sockel "G. Herting fecit 1935" Südseite: Drei Arbeiterfiguren im Stil der Nazizeit, darunter die Worte "Eisen - Salz - Kohle" [Anmerkung: Eisen und Salz hat erst Egestorffs Sohn zum Gegenstand der Industrie in und um Linden gemacht.]
Mit etwas Glück hätte man von hier aus, in Richtung Martinskirche blickend, vielleicht auch noch das kleine Kalkbrennerhaus sehen können, Egestorffs Wohnhaus von 1803 bis 1812, das 1969/70 dem Neubau der Integrierten Gesamtschule weichen mußte. Eine Fototafel an der Straße Am Lindener Berge erinnert heute daran.
Erinnerungs- und Hinweistafel an der Straße Am Lindener Berge (Foto 2008, Stadtarchiv Seelze)
Von dem Wohnhaus Egestorffs in der Blumenauer Straße, das nahe dem Schwarzen Bären gestanden haben muß, ist dem Augenschein nach keine Spur geblieben; falls es den 2. Weltkrieg überstanden hat, wird es wohl spätestens dem Bau des Ihme-Zentrums zum Opfer gefallen sein.
In seinem Geburtsort Lohnde (heute Stadt Seelze) erinnert nur noch ein Straßenname an den großen Sohn des Dorfes. (Die Johann-Egestorff-Straße mündet nahe dem Grundstück, wo er aufgewachsen ist, in die Lohnder Straße.) Sein Geburtshaus ist bereits in den 1880er Jahren abgerissen worden und der folgende Neubau der Brinksitzerstelle Nr. 24 (Grundstück Lohnder Straße 9) wurde im Oktober 1990 abgebrochen. Heute steht dort eine Reihenhauszeile.
Norbert Saul, Stadtarchiv Seelze (Februar 2008)
Quellen, Literatur:
- Philipps, Otto, Johann und Georg Egestorff. Leben und Wirken zweier niedersächsischer Wirtschaftsführer, Oldenburg 1936 (Beiträge der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens, Heft 35)
- Mittelhäußer, Käthe, Die Industrie, in: Der Landkreis Hannover, Hannover 1963, S. 176 ff
- Schneppe, Erna und Friedrich, Dorfschule in Lohnde 1700-1945, in: Ortsgeschichte Lohnde, Seelze 1992, S. 163 ff (Stadtarchiv Seelze)
- Schröder, Alfred, Kirchenbuchkartei für das Kirchspiel Seelze (mit Ergänzungen aus anderen Quellen), Stadtarchiv Seelze
- Wittmeyer, Heinrich, Chronik des Kirchspiels Seelze, 1948, Anhang Nr. 44, Stadtarchiv Seelze (unveröffentlicht)
Lesen Sie weiter zur Wirkungsgeschichte von Johann Egestorff und seinem Sohn Georg als Industriepioniere in Linden:
von Horst Deuker eine zweiteilige Geschichte der früher auf dem Hanomag-Gelände gelegenen Arbeitersiedlung „Klein Rumänien“, die einen großartigen Überblick über die Lindener Industrieentwicklung bietet:
Wie es dazu kam, dass Rumänien mitten in Linden lag (Teil 1)
Wie es dazu kam, dass Rumänien mitten in Linden lag (Teil 2)
von Michael Jürging einen Beitrag zu der ehemaligen Egestorffschen Ultramarinfabrik zwischen Davenstedter und Badenstedter Straße:
Egestorffsche Ultramarinfabrik